Rechtliche Bedingungen nachhaltiger Beschaffung im öffentlichen Dienst

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Am 09.03., von 10 bis 11 Uhr, hat der Rechtsanwalt André Siedenberg einen Impulsvortrag zum Thema „nachhaltige öffentliche Beschaffung“ für alle Interessierten gehalten. Am 27.04.23 führte er von 9:30 bis 12:30 Uhr eine Grundlagenschulung für DG HochN Mitglieder durch.

Rechtliche Bedingungen nachhaltiger Beschaffung im öffentlichen Dienst
Datum
Do 09 März 2023 10:00 Uhr
Schwerpunkte

Nachhaltige Beschaffung

Beschaffung

Einkauf
Bezug Wiki-Themen



Informationen zu den Hubs und zur Dokumentation

  • André Siedenberg, Rechtsanwalt in Düsseldorf
  • Fokus auf Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung seit über 10 Jahren
  • 40 und 35 Teilnehmende bei Impulsvortrag und DG HochN-interner Schulung
  • Die folgende Dokumentation ist aus Mitschriften von Teilnehmenden zusammengetragen und basiert teilweise auf den Folien und teilweise auf den mündlichen Ausführungen. Prüfen Sie bei Bedarf die juristische Richtigkeit und Anwendbarkeit der Informationen, da wir im Detail keine Gewähr geben können.

Vier grundsätzliche Fragen für ein konkretes Beschaffungsvorhaben

  1. Welche Nachhaltigkeitskriterien sollen in meinem konkreten Bedarfsfall (Produkt/Dienstleistung) zum Tragen kommen? (Für jede Produktart gibt es unterschiedliche Nachhaltigkeitskriterien.)
  2. Wo in einer Ausschreibung bringe ich diese Kriterien unter?
    • Leistungsbeschreibung: Besondere Nachhaltigkeitsaspekte des Produkts/der Dienstleistung an sich? (bspw. Brötchen aus Bio-Mehl; Verweis auf Nachhaltigkeitssiegel ist möglich)
    • Eignungskriterien: Wer soll meinen Bedarf decken? (ggf. Bäckerei mit Umweltmanagement oder Lieferkettenmanagement; siehe unten)
    • Zuschlagskriterien: Was ist für mich das wirtschaftlichste Angebot? (Dies ist NICHT zwingend das preisgünstigste Angebot, sondern das wirtschaftlichste vor dem Hintergrund von Qualitätskriterien, die ausdrücklich auch Nachhaltigkeitsaspekte beinhalten.)
    • Besondere Ausführungsbedingungen: Was ist bei der Durchführung zu gewährleisten? (bspw. Auslieferung in Körben/ausschließlich Mehrwegverpackung oder umweltfreundliche Verpackung, klimaneutrale Lieferung, jährlicher Nachweis der Bio-Qualität durch Einkaufsbelege, Einhaltung von Mindestlöhnen etc.)
  3. Wie kontrolliere ich die Einhaltung?
  4. Wie sanktioniere ich, wenn die Vorgaben nicht eingehalten werden? Es gibt gesetzliche und vertragliche Sanktionsmöglichkeiten, bspw. Vertragsstrafen oder Vertragskündigung.

Wie kann die Einführung einer nachhaltigen Beschaffung möglichst wirkungsvoll gestaltet werden?

Bei der Einführung einer nachhaltigen Beschaffung stoßen wir häufig auf Vorbehalte, die zu einem großen Teil unbegründet sind und dennoch ernst genommen werden müssen. Folgendes Vorgehen kann dabei helfen.

  1. Welche Beschaffungen stehen aktuell an? (Konkrete Vorhaben identifizieren.)
  2. Was davon eignet sich für eine nachhaltige Beschaffung?
  3. Niedrigschwellige Beschaffungen zuerst umsetzen und Erfolge kommunizieren, um die Menschen zu ermutigen (bspw. Recycling-Papier mit Blauem Engel). Erst danach weitere Beschaffungsvorhaben in Angriff nehmen.
  4. Nach Möglichkeit Dienstanweisung der Hausspitze zur Verankerung erwirken, bspw. „bei jedem Beschaffungsprozess sind Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen“ oder (deutlich schwächer) „bei jedem Beschaffungsprozess ist zu prüfen, inwiefern Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden können". (Die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Ausschreibungsgegenstand ist grundsätzlich immer eine gute Idee.)

Hintergrundinformation

Grundidee des öffentlichen Vergaberechts

  • Korruption verhindern
  • Verantwortlich mit öffentlichen Geldern umgehen
  • Vergaberecht soll auch den Wettbewerb fördern (auch auf europäischer Ebene)

Nachhaltige öffentliche Beschaffung wird immer mehr zum Schwerpunktthema. (Früher war es nur ein Nischenthema, das hat sich inzwischen deutlich verändert.)

Nachhaltigkeitsaspekte sind grundsätzlich nicht vergabefremd – das Gegenteil ist in der aktuellen Gesetzgebung der Fall, auch wenn es zum Teil immer noch den Vorbehalt gibt, Nachhaltigkeit habe nichts mit dem eigentlichen Vergaberecht zu tun.

Unterhalb des Schwellenwerts ist Vergabe haushaltsrechtlich und somit landesrechtlich geregelt. Zusätzlich kann es Ratsbeschlüsse, Dienstanweisungen, (Präsidiums-)Richtlinien u.ä. geben. Zu beachten: Für soziale Dienstleistungen liegt der Schwellenwert deutlich höher, weil diese nur bedingt in Wettbewerb gestellt werden sollen.

Der Fokus liegt bei der Frage der nachhaltigen Beschaffung häufig auf Umweltaspekten. Soziale Aspekte sollten keinesfalls vergessen werden und auch Aspekte der ökonomischen Nachhaltigkeit sind wichtig.

Rechtlicher Rahmen

Grundlegendes

  • Rechtlicher Rahmen: EU-, Bundes- und Landesgesetze
  • Ober- und Unterschwellen berücksichtigen
    • Regulärer Schwellenwert: 215.000 Euro
    • Soziale Dienstleistungen: 750.000 Euro (Essen auf Rädern, Integrationsleistungen für den Arbeitsmarkt, Rechtsberatungsleistung, Eventorganisation etc.)
    • Bauleistungen: 5.382.000 Euro
  • Kommunale Selbstverwaltungsfreiheit: Hoheit für Einkaufsentscheidungen auf kommunaler Ebene (Stadtstaaten haben daher etwas anderes Vergaberecht)
  • Nachhaltigkeitsaspekte sind keine „vergabefremden“ Aspekte sondern stehen auf derselben Stufe wie z. B. die Qualität eines Produktes (vgl. § 97 Abs.3 GWB): "Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt."
  • i.d.R. wird nicht gegen öffentliche Vergabeprozesse geklagt

Leistungsbeschreibung

  • "Was will ich eigentlich haben?" / "Was deckt meinen Bedarf"
  • Konstruktiv: Abschließende Beschreibung davon, was erbracht werden soll (z. B: Büroartikel): "Bau mir eine Brücke über den Rhein." / "Dämme das Gebäude mit Außenwanddämmung."
  • Funktional: Problemlösung wird ausgeschrieben: "Biete mit eine Möglichkeit an, ohne nasse Füsse auf die andere Seite des Rheins zu kommen." / "Nach der Sanierung muss das Gebäude 30% weniger Wärmeenergie benötigen." --> Mehr Flexibilität für überraschende und innovative Lösungen -- und auch die Auswahl derselben
  • Kann auch soziale Standards beinhalten. Da diese schwer nachweisbar sind, können Gütezeichen/Siegel den Nachweis erleichtern
  • Produktneutralität muss gewahrt werden und daher sollten Marken nicht genannt werden. Wenn es nicht anders geht, sollte zumindest der Zusatzt "oder gleichwertig" hinzugefügt werden - oder Entscheidungen für ein System (z. B. Microsoft vs. Apple) gut begründet und dokumentiert werden
  • Zertifikate und Siegel können verwendet werden, um die Leistungskriterien nachzuweisen. Allerdings müssen gleichwertige Nachweise zugelassen sein (--> Produktneutralität)

Eignungskriterien

  • "Wer soll das eigentlich machen?"
  • "Ist der Bieter geeignet, den Auftrag zu erledigen?" / "Was muss das Unternehmen erfüllen, um die Leistungsbeschreibung erfüllen zu können?"
  • eng an Leistungsbeschreibung gekoppelt und mit Mindestanforderung versehen
  • i.d.R. Ausschlusskriterium --> Übererfüllung kann i.d.R. nicht berücksichtigt werden
  • bei Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb: fixe Grenzen (z. B. mind. drei Referenzen)
  • bei Verfahren mit Teilnahmewettbewerb: Abstufung möglich (z. B. pro Referenz einen Punkt vergeben)
  • Nicht alle Eignungsnachweise sind zulässig: Über der Oberschwelle gibt es einen EU-Katalog (mit wenigen Nachhaltigkeitsbezügen). Umweltzertifizierung kann ggf. verlangt werden. Lieferkettenmanagement kann ebenfalls gefordert werden (inkl. Liefersicherheit und Kontrolle von Sozialstandards).

Zuschlagskriterien

  • "Was ist für mich das wirtschaftlichste Angebot?"
  • "wirtschaftlichstes" bedeutet nicht "billigstes" --> Kosten im Verhältnis zu Kriterien
  • Preis hat keine Mindestgewichtung
  • dennoch spielt der Preis natürlich eine große Rolle
  • es können auch Festpreise vergeben werden
  • soziale Aspekte können als Zugschlagskriterien berücksichtigt werden
  • Zuschlagskriterien müssen überprüfbar sein - aber müssen nicht zwingend überprüft werden
  • Gewichtung von Preisen z. B. durch Interpolationsformel (niedrigster Preis bekommt 1 und höchster Preis 0 Punkte, alle anderen werden dazwischen verteilt.). Kann problematisch sein, weil bei anderen Kriterien nicht immer volle Punkte vergeben werden und der Preis dadurch noch stärker gewichtet sein kann
  • Gewichtung von Preisen auch durch sogenannte einfache Richtwertmethode]: Preis und Qualität
  • --> Prozentuale Gewichtung nicht so entscheidend wie die Verteilung von Punkten innerhalb der Kategorien

Besondere Ausführungsbedingungen

  • "Was ist bei der Ausführung zu beachten?"
  • Ist häufig bei der Kontrolle relevant, besonders bei langen Kooperationen
  • Weitere Beispiele: Mindestlöhne, Mehrwegbesteck
  • z. B. regelmäßig Nachweise vorlegen lassen (z. B. dass Produkte auch Fairtrade sind) --> Bringschuld/Pflichten für Anbieter

Gütezeichen und Nachweise

  • "Wie können Kriterien nachgewiesen werden?"
  • Keine gesetzliche Pflicht zur Kontrolle von Nachweisen
  • Eigenerklärungen können Nachweisführung vereinfachen
  • qualifizierte Eigenerklärung: "Ich halte die Kriterien ein und zwar so: ..."
  • Fremdnachweise: Gütezeichen/Siegel (juristisch an unterschiedlichen Stellen mitgeregelt)
    • Deskriptiv: "Das Angebot muss sämtliche Anforderungen des XYZ-Siegels erfüllen."
    • Evident: "Zum Nachweis der Erfüllung der Anforderungen des Leistungsverzeichnissese hat der Bieter mit dem Angebot einen Nachweise über die Erteilung des XY-Siegel (oder gleichwertig) vorzulegen."
    • Kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingefordert werden
  • Gleichwertigkeit von Nachweisen: Produktionsphasen beachten (Anbau, Herstellung, Veredelung, etc.) und Art der Prüfung (sozial oder ökologisch, Kotnrolldichte). Leichter: "Folgende Nachweise werden als gleichwertig anerkannt: ... "
  • Gütezeichenfinder von Kompass Nachhaltigkeit
  • EMAS ausdrücklich anerkannt und privilegiert als Eignungskriterium, kann im Einzelfall auch als Nachweis für Produkte angesehen werden

Lieferkettengesetz

  • Sogfaltspflichtengesetz
  • Gilt es auch für Hochschulen? Noch unklar.
    • Prinzipiell rechtsformneutraler Ansatz
    • Anderseits ist das Gesetz nicht auf Hochschulen zugeschnitten (Besonders bei Sanktionierung durch Bußgelder, Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen etc.)
  • Falls es Hochschulen betrifft müssen bei Ausschreibungen viele Punkte verpflichtend berücksichtigt werden (vor allem Einhaltung sozialer Standards von Bietern)

Sanktionsmöglichkeiten

  • grundsätzlich Vertragsfreiheit bei öffentlichen Vergabeverfahren
  • z. B. Vertragsstrafen (max. 8% des Auftragswertes), Vertragskündigung, Pflichten zur Nachleistung
  • "Was hält meinen Bieter am besten dazu an, die Kriterien zu erfüllen?"
  • ggf. unangenehme Pflichten bei Vertragsverstößen einführen
  • Beispiel: ~ "Bei Vertragsverstößen muss präsentiert werden, wie es demnächst besser laufen kann. Bei weiteren Verstößen müssen Vorgesetzte und später sogar Partner/Geschäftsführer dabei sein."

Weitere Tipps

  • Nachhaltige Optionen vorrangig anzeigen lassen - also z. B. Standardauswahl auf "vegetarisches Essen" und andere Möglichkeiten dennoch zulassen; oder im digitalen Katalog nachhaltigere Aspekte zuerst auflisten
  • Fristen können auf 15 Tage verkürzt werden, wenn es dringlich ist (gesetzlich vorgesehen sind 30 Tage)
  • ggf. Konzept zu Nachhaltigkeitsaspekten einfordern
  • Markterkundung auch durch Bieterdialog: Bieter an einen Tisch holen und nachfragen, wie eine gute Ausschreibung aussehen müsste. Auch nachfragen, was sich in Sachen Nachhaltigkeit in den letzten Jahren getan hat.
  • Regionalität am leichtsten bei Direktvergabe zu berücksichtigen. Anfahrtsweg kann begründet eine Rolle spielen (z. B. Frische, Warmhaltezeit bei "Cook-and-Hold", kurze Reaktionszeit oder CO2-Reduktion)
  • Musterdatenbank bei Kompass Nachhaltigkeit für Ausschreibungen (mit Kommentaren):
  • Beispiel für Fragebogen zu Fairem Handel (PDF) bei einer Vergabe der Stadt Karlsruhe
  • Beispiel für Fragebogen der Markterkundung

Weiterführende Informationen

Kapitel zu Nachhaltiger Beschaffung im HOCH-N Leitfaden "Betrieb"

Erasmus+ Projekt ProcToGo zu nachhaltiger Beschaffung

Labelratgeber (Umweltsiegel) des Umwelt-Bundesamtes

Folien

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