HOCH-N:Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer im Hochschulalltag

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Gegenstand dieses Kapitels ist die Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer im Hochschulalltag. Da sich die Vielfalt von Nachhaltigkeitstransfer kaum angemessen abbilden lässt, wird ein idealtypischer Verlauf in vier Phasen skizziert und mögliche Aufgaben, die sich daraus ableiten lassen, beschrieben. Den vier Phasen werden anschließend Rahmenbedingungen und Alltagspraktiken an Hochschulen gegenübergestellt. Aus dieser Gegenüberstellung lässt sich der Handlungsspielraum für den jeweiligen konkreten Kontext bestimmen und Ansatzpunkte identifizieren, wie Nachhaltigkeitstransfer gestaltet, ausgebaut und vertieft werden kann.

Aus der Perspektive der Hochschulen lassen sich mit Blick auf das Handlungsfeld Nachhaltigkeitstransfer idealtypisch vier Phasen und zwei Querschnittsaufgaben beschreiben (vgl. Abb. 6). Mit einer idealtypischen Darstellung ist dabei nicht ein idealer oder optimaler Verlauf gemeint, sondern im Sinne von Max Weber (1968) eine Auswahl und Zuspitzung sozialer Wirklichkeit, bei der wesentliche Merkmale hervorgehoben und zum Teil überzeichnet werden. Ein solcher Idealtypus dient der analytischen Klarheit, selbst wenn er in der empirischen Realität so kaum vorzufinden ist (Weber 1968).

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Phasen im Transferprozess

Die Phasen können sich in der Praxis überlappen. Zu analytischen Zwecken werden sie im Folgenden voneinander abgegrenzt. Mit einer kurzen allgemeinen Beschreibung werden die hinsichtlich eines Nachhaltigkeitstransfer notwendigen Aufgaben eingeführt (vgl. Tab. 3). Da es Unterschiede zwischen Transferaktivitäten in Lehre und Forschung gibt, werden nach dieser allgemeinen Einführung die spezifischen Umsetzungsbedingungen und Herausforderungen in eigenen Unterkapiteln dargestellt.

1. Phase: Initiierung von Transfer und Identifizierung der Akteur*innen

Für den Auftakt besteht die Herausforderung darin, Thema und Transferpartner*innen für eine Transferaktivität zu identifizieren. Die beteiligten Akteur*innen bilden den Ausgangspunkt für Nachhaltigkeitstransfer. Eine Schwierigkeit liegt darin, dass sich die „richtigen“ Partner*innen finden. Die Zusammenarbeit ist kein Selbstläufer, da die verschiedenen Seiten gegebenenfalls unterschiedliche Interessen verfolgen, verschiedene „Sprachen“ sprechen, andere Erfolgsmaßstäbe haben und in anderen Zeiträumen denken. Daher ist die Suche mit einigem Aufwand verbunden. Die Kontaktaufnahme kann von Seiten der Hochschule, von Seiten der Praxis oder initiiert durch Dritte (Politik, Berater*innen, NGOs) erfolgen. Ausgangspunkt für eine Kooperation kann entweder das Interesse an einer Zusammenarbeit mit bestimmten Akteur*innen oder ein inhaltlich, thematisches Interesse sein. Im Rahmen eines ersten Austausches prüfen die potenziellen Kooperationspartner*innen, wie groß ihre Übereinstimmungen in Bezug auf eine angestrebte Transferaktivität sind. Hilfreich können dabei schon bestehende Kontakte und Netzwerke sein. Die Nachhaltigkeitsausrichtung ergibt sich daraus, dass thematisch ein Nachhaltigkeitsproblem oder -thema bearbeitet wird. Dabei ist es nicht wichtig, ob sich die Akteur*innen als Nachhaltigkeitspionier*innen oder als „Einsteiger*innen“ verstehen. Die wesentliche Aufgabe bei diesem Schritt besteht in einer groben Themenbeschreibung, mit der eine gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit gelegt wird. Es wird beschrieben, welches Thema, Problem oder Projekt zu nachhaltiger Entwicklung gemeinsam bearbeitet werden soll, um im besten Fall umsetzungsreife Lösungen für dieses Problem zu finden.


2. Phase: Konzeption und Ziele der Transferaktivität

Bei diesem Schritt geht es darum, auf Basis der gemeinsamen Themenfestlegung die Transferaktivität zu planen und eine Vorgehensweise zu entwickeln. Ankerpunkt ist dabei die Formulierung gemeinsamer Ziele, die mit Nachhaltigkeitstransfer erreicht werden sollen. Parallel dazu können die Transferpartner*innen noch jeweils individuelle Zwecke verfolgen, solange sie den gemeinsamen Zielen nicht widersprechen. Daran anknüpfend müssen die Partner*innen Absprachen zum Arbeitsplan treffen, wie Festlegung eines Zeitplans, Verteilung von Aufgaben und Bereitstellung von Res- sourcen. Die Arbeitsweise verbindet wissenschaftliches Arbeiten (Fragestellung, Methoden) und das jeweilige Praxisfeld (Nutzen, Umsetzbarkeit), wobei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden können.


3. Phase: Umsetzung der Transferaktivität

Die Durchführung des Nachhaltigkeitstransfers erfolgt in unterschiedlicher Form, z.B. als Problem- und Situationsanalyse, als Entwicklung von Lösungsansätzen, Prototypen, Projekten oder Innovationen sowie als Test von Modellen oder Projekten, als Implementierung von Lösungsansätzen oder Nachhaltigkeitsinnovationen. Bei einem höheren Komplexitätsgrad können alle Seiten ihre unterschiedlichen Stärken und Sichtweisen einbringen, um nachhaltige Entwicklung voranzubringen. Die wesentliche Aufgabe besteht darin, Analyse, Entwicklung und/oder Test von Lösungsansätzen im Austausch miteinander umzusetzen und dabei von der Vielfalt der Kompetenzen und Perspektiven der Transferpartner*innen zu profitieren.


4. Phase: Ergebnissicherung und Dokumentation

So verschieden die Umsetzung von Transferaktivitäten sein kann, so unterschiedlich können auch die Ergebnisse von Nachhaltigkeitstransfer sein, die darüber hinaus von Wissenschaft und Praxis verschieden bewertet werden können. Die Lerneffekte und der Nutzen variieren je nach Akteursgruppe. Das neue Wissen und die Lernerfahrungen werden häufig nicht explizit ausgesprochen. Deswegen ist es eine eigene Aufgabe, die Ergebnisse des Transfers für alle Transferpartner*innen in den unterschiedlichen Facetten zu sichern. Dazu gehören geeignete Formen der Dokumentation der gemeinsamen Aktivitäten. Eine formale Ergebnissicherung kann auf eine solche Dokumentation aufbauen. Die Herausforderung liegt darin, die Ergebnisse so aufzubereiten und verfügbar zu machen, dass sie für die Zwecke der unterschiedlichen Transferpartner*innen nutzbar sind. Ein weiterer Aspekt ist die Evaluation des Nachhaltigkeitstransfers. Hierbei steht der Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung bzw. zum Gemeinwohl im Fokus. Eine Wirkungsanalyse transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung ist schwierig, jedoch anzustreben.

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Querschnittsaufgaben bei Nachhaltigkeitstransfer

Weiterhin gibt es, ebenfalls idealtypisch beschrieben, zwei Querschnittsaufgaben – Prozessmanagement und Reflexion –, die für Nachhaltigkeitstransfer über alle Phasen hinweg relevant sind.

Querschnittsaufgabe Prozessmanagement

Der idealtypisch beschriebene Ablauf von Nachhaltigkeitstransfer ist mit den ganz konkreten Umsetzungsbedingungen im Hochschulalltag konfrontiert. Aus einer Gegenüberstellung der Aufgaben in den verschiedenen Phasen und den realen Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeitstransfer können die Möglichkeiten, Gestaltungsspielräume, Potenziale, aber auch Grenzen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer abgeschätzt werden. Die Prüfung der Rahmenbedingungen sollte sich möglichst konkret auf die jeweiligen Umsetzungsbedingungen an der betreffenden Hochschule beziehen und auch Hemmnisse, wie einschränkende Regelungen, Zeitmangel, Risiken und Unsicherheiten einschließen. Aus dieser Prüfung lassen sich Ansatzpunkte für die Konzeption und Umsetzung von Nach- haltigkeitstransfer ableiten, Nachhaltigkeitstransfer wird „geerdet“. So lässt sich auch abschätzen, welcher Komplexitätsgrad beim Nachhaltigkeitstransfer jeweils geeignet ist (vgl. Abb. 3). Zugleich können die Akteur*innen identifiziert werden, die für die konkrete Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer relevant sind. Und es lässt sich ableiten, wie die Rahmenbedingungen selbst weiterentwickelt und verbessert werden könnten.

Die Zusammenarbeit heterogener Akteur*innen mit unterschiedlichen Zielen und Handlungslogiken erfordert ein gutes Prozessmanagement und gute Kommunikation, um diese Differenzen zu überwinden und fruchtbar zu machen. Organisatorische Strukturen geben den Transferpartner*innen Sicherheit, was eine wichtige Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist, und sie können die komplexen Lern- und Gestaltungsprozesse erleichtern. Dafür sind Ressourcen, aber auch eine Kultur der Zusammenarbeit erforderlich.

Zum Prozessmanagement zählt weiterhin die Kommunikation über Nachhaltigkeitstransfer, die sowohl an die Ergebnissicherung als auch an die Reflexion anknüpft. Kommunikation nach innen und außen ist über den ge- samten Transferprozess hinweg relevant und eine wesentliche Voraussetzung für Transparenz der Transferaktivitäten, die wiederum für die Akzeptanz und Legitimation von Nachhaltigkeitstransfer Voraussetzung ist.

Querschnittsaufgabe Reflexion

Eine systematische Reflexion bildet ein Qualitätsmerkmal von Nachhaltigkeitstransfer. Reflexion trägt dazu bei, die Nachhaltigkeitsorientierung der Transferaktivitäten zu prüfen und zu schärfen. Und sie kann gesellschaftliche Lernprozesse anstoßen und anleiten, die sich aus Nachhaltigkeitstransfer ergeben können. Die Reflexion der Lern- und Erkenntnisprozesse kann nach Akteursgruppen getrennt erfolgen, was einfacher umzusetzen ist. Eine gemeinsame Reflexion des Transferprozesses sowie einzelner Phasen ist angesichts der Perspektivenvielfalt komplizierter, verspricht aber auch einen höheren Erkenntnisgewinn. Durch eine wissenschaftlich angeleitete Reflexion können gemeinsame Erkenntnisse und Erfahrungen herausgearbeitet werden, die über die jeweiligen fallbezogenen und kontextspezifischen Ergebnisse hinausweisen und zu übertragbaren Erkenntnissen und Erfahrungen führen können. Gerade bei den komplexen Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung sollte die Reflexion den Umgang mit Werten und Emotionen ausdrücklich einbeziehen (vgl. Kapitel Zugrundeliegendes Nachhaltigkeitsverständnis). Das gilt auch für das Lernen aus Fehlschlägen und Misserfolgen. Es müssen Verantwortlichkeiten für die Reflexion benannt sowie Ressourcen und Zeit dafür eingeplant werden. Verfahren, Vorgehensweise und methodische Anleitungen für die Reflexion von Nachhaltigkeitstransfer sind bislang kaum etabliert und stellen daher hohe Anforderungen an die Beteiligten und das Prozessmanagement.

Die Querschnittsaufgaben Prozessmanagement und Reflexion lassen sich für die vier Phasen von Nachhaltig- keitstransfer operationalisieren. Einen Überblick dazu gibt Tabelle 4.

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In den nachfolgenden Abschnitten werden diese allgemeinen Überlegungen zur Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer für die beiden Handlungsfelder Lehre und Forschung operationalisiert, um den jeweils anderen Rahmenbedingungen, Motiven und Erfolgskriterien gerecht werden zu können.


Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

Beim Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre werden Praxisakteur*innen in Lernprozesse zu Nachhaltigkeit eingebunden. Beim Komplexitätsgrad der Angebotsorientierung richtet sich Nachhaltigkeitstransfer an Praxisakteur*innen, z.B. in der berufsbegleitenden Weiterbildung, oder Praxisaspekte werden in die Lehre mit eingebunden, z.B. berichten Praxisakteur*innen im Hörsaal. Beim wechselseitigen Austausch können Probleme und Aufgabenstellungen aus der Praxis in der Lehre behandelt werden oder die Anwendung von theoretischem Wissen, Methoden und Ansätzen wird auf einen realistischen bzw. realen Kontext bezogen (Rieckmann 2018). Auf der Komplexitätsstufe der Ko-Produktion erfolgt der Lernprozess gemeinsam auf Augenhöhe. Alle Beteiligten – Studierende, Lehrende und Praxisakteur*innen – können davon profitieren und in Bezug auf die Bearbeitung oder Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen dazulernen. Im Sinne von BNE wird der Lernprozess selbstorganisiert und fordert die Studierenden gerade durch den Praxisbezug heraus (Singer-Brodowski 2016). Sie erlernen und erproben ein breites Spektrum an Kompetenzen, auch solcher, die sich im Hörsaal nur schwer vermitteln lassen. Entsprechend der Konzeption von BNE können dadurch Gestaltungskompetenzen für Nachhaltigkeit erworben werden (Bormann & de Haan 2008; Molitor 2018).

HERVORHEBUNG/KASTEN:

Lesetipp Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

Nölting, Benjamin; Dembski, Nadine; Dodillet, Johanna; Holz, Jana; Lehmann, Kerstin; Molitor, Heike; Pfriem, Alexander; Reimann, Julian; Skroblin; Jan-Hendrik (2018). Transfer stärkt Lehre. Wie Nachhaltigkeitstransfer Hochschullehre inspirieren kann. Eberswalde: Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HOCH-N Diskussionspapier der HNE Eberswalde; Nr. 01). https://www.hochn.uni-hamburg.de/-downloads/handlungsfelder/transfer/diskussionspapier-transfer-staerkt-lehre-2018-04.pdf

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Operationalisierung von Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

Die idealtypischen Phasen lassen sich wie folgt für die Lehre operationalisieren (vgl. Tab. 3).

1. Phase: Initiierung von Transfer

Die wesentlichen Akteur*innen sind

  • die Studierenden, deren Lernerfolg eine der zentralen Aufgaben von Hochschulen ist,
  • die Praxisakteur*innen, die mit ihrer Beteiligung Anwendungsorientierung und Praxisrelevanz einbringen, und
  • die Lehrenden, deren Aufgabe die Kompetenz- und Wissensvermittlung ist und die zu diesem Zweck Lehr-Lern-Prozesse gestalten.

Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Perspektive auf den Lehr- und Lernprozess sowie durch ihre Motivation, sich an Nachhaltigkeitstransfer zu beteiligen und ihren Möglichkeiten, den Lernprozess mitzugestalten. Studierende bringen u. a. das Interesse für Themen und Lösungsideen mit, Praxispartner*innen bringen aktuelle Fragestellungen aus der Praxis ein und die Nachfrage nach wissensbasierten Lösungsansätzen. Lehrende können abschätzen, welche Akteur*innen, Themen und Didaktik für die Lehre geeignet sind. Das Potenzial von Nachhaltigkeitstransfer kann insbesondere dann ausgeschöpft werden, wenn sich alle Beteiligten als Lernende verstehen. Die Rollenverteilung Lehrende–Lernende bricht in der Regel auf, der besondere Lerneffekt bei der Ko-Produktion liegt gerade darin, dass sich die Rollen auflösen bzw. Rollen und Perspektiven getauscht werden.

Vorschläge für Themen und Inhalte für Nachhaltigkeitstransfer können von Studierenden, Lehrenden und Praxispartner*innen eingebracht werden. Umgekehrt können auch zu einem bestimmten Nachhaltigkeitsthema geeignete Akteur*innen gesucht werden. Entsprechend der thematischen Interessen und Kompetenzen, die die Akteur*innen jeweils in den Nachhaltigkeitstransfer einbringen, können sich interessierte Akteur*innen finden, die einen gemeinsamen Lernprozess anstoßen und durchführen wollen. Als Anlaufstelle für den Erstkontakt bieten sich die Lehrenden an, die Kontakte zu Studierenden und zur Praxis haben.

Für die inhaltliche Klärung eignet sich eine gemeinsame Beschreibung eines Nachhaltigkeitsthemas oder -problems, das im gemeinsamen Lernprozess bearbeitet werden soll. Praxisakteur*innen bringen dabei ihre Fragestellungen aus der Arbeits- und Lebenswelt ein. Studierende bringen ihren Veränderungswillen für nachhaltige Entwicklung ein. Sie stellen Fragen zum Gegenstand und entwickeln Ideen für praxisbezogene Lösungen. Dabei können sie aktuelles Fachwissen aus ihrem Studium einbringen und den Praxisakteur*innenn zur Verfügung stellen. Lehrende steuern in erster Linie ihre wissenschaftlich-theoretischen Bezüge und ihre beruflichen Erfahrungen bei. Im Sinne von Nachhaltigkeitstransfer und BNE sollte begründet werden, inwieweit die Auseinandersetzung mit der gewählten Fragestellung zu nachhaltiger Entwicklung beitragen kann.

Auf dieser inhaltlichen Basis können die Beteiligten eine Entscheidung treffen, ob die Kooperation aus ihrer Sicht sinnvoll ist. Weiterhin müssen sie prüfen, ob sie auch organisatorisch zusammenpassen und ausreichend Vertrauen herrscht, um sich auf einen solchen gemeinsamen Lernprozess einzulassen. Oft haben Leh- rende die Verantwortung für diesen Schritt. Je nach Ausstattung und Erfahrung kann hierbei auch eine Transferstelle eine Rolle übernehmen.


2. Phase: Konzeption von Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

Ein zentraler Schritt, um den Lernprozess zu konzipieren, ist das Aushandeln und Formulieren von gemeinsamen Projekt- und Lernzielen. Parallel dazu können Studierende, Praxisakteur*innen und Lehrende auch gruppenspezifische und individuelle Lernziele verfolgen. Die Lernziele sollten explizit gemacht werden, damit der angestrebte Lernprozess nachvollziehbar und nach wissenschaftlichen Maßstäben kritisierbar ist. Ausgehend von diesen gemeinsamen Lernzielen kann dann ein Lernprogramm oder Lehr-Lern-Konzept entwickelt werden. Das Konzept Bildung für nachhaltige Entwicklung kann dazu wichtige Anregungen und Ansätze beisteuern, gerade für Lernprozesse, die in die Lebenswelt eingebettet und an nachhaltiger Entwicklung orientiert werden. Dabei muss geklärt werden, worin der Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung liegt bzw. liegen kann.

Das Lehr-Lern-Konzept wird im nächsten Schritt durch didaktische Methoden und Konzepte operationalisiert, wobei die besondere Lernsituation mit Praxisakteur*innen berücksichtigt werden sollte. Dafür kommt eine Fülle an Methoden in Betracht, z. B. Fallstudien, Projektarbeiten, Praktika, Planung, Umsetzung und Auswertung von Interventionen, forschendes Lernen, problemorientiertes Lernen, selbstorganisiertes Lernen, Lernforen etc. (Herweg et al. 2016; Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität 2018). Schließlich sollten für die Umsetzung des Lehr-Lern-Konzepts Arbeitsschritte, ein Zeitplan und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Die Lernprozesse bei Nachhaltigkeitstransfer sind offener, für die Beteiligten schwieriger zu kalkulieren, in der Regel mit größerem (zeitlichen) Aufwand für Studierende und Lehrende verbunden und mitunter nicht ganz reibungslos in Curricula sowie in Studien- und Prüfungsordnungen zu integrieren. Dementsprechend ist die Vorbereitung und Gestaltung einer gemeinsamen „Lernarena“ wichtig.

Dies ist mit einer besonderen Verantwortung aller Beteiligten für den Lernprozess verbunden, die über die Verantwortung in traditionellen Lehr-Arrangements an Hochschulen hinausreicht. Ein wichtiger Aspekt ist, die Rollen der beteiligten Gruppen in den verschiedenen Lern- und Arbeitsschritten zu klären. Praxisakteur*innen können durchaus unterschiedlich sein. So können Studierende neben Lernenden auch die Rolle von Ideengeber*innen oder Lehrenden übernehmen, wenn es z. B. um die Entwicklung von Lösungsansätzen oder den Transfer von aktuellem wissenschaftlichen Wissen an die Praxisakteur*innen geht.

3. Phase: Umsetzung der Transferaktivität im Lernprozess

Der Nachhaltigkeitstransfer kann auf ganz unterschiedliche Lernergebnisse mit ganz verschiedenen Komplexitätsgraden abzielen. Wesentliches Merkmal dabei ist eine Verknüpfung von Theorie und Praxis. Diese bringen ihre Themen, Fragen und Aufgaben aus ihrer Praxis ein, auf die dann im gemeinsamen Lernprozess wissenschaftliche Methoden, Konzepte und Ansätze angewandt werden. Das kann umfassen:

  • die Anwendung von Handbuchwissen und Methoden in einem Praxiskontext
  • die Analyse von praktischen Problemen mithilfe wissenschaftlicher Ansätze
  • die wissensbasierte Entwicklung von Lösungsansätzen und Idee für Praxisprobleme
  • die praktische Erprobung solcher Lösungsansätze und die Auswertung der Anwendungserfahrungen.

Ausgehend von der Problembeschreibung bringen die Akteur*innen bei den skizzierten Lernschritten ihr wissenschaftliches Wissen, Fachexpertise, Erfahrungswissen und Kreativität ein. Ein solcher Lernprozess geht deutlich über die Vermittlung von Fachwissen und Me- thodenkenntnissen hinaus. Nach dem Verständnis von BNE geht es um Selbstorganisation bei der Bearbeitung komplexer Aufgaben in einem lebensweltlichen Setting. Gerade aus der Perspektivenvielfalt und den unterschiedlichen Lösungsansätzen im Repertoire der Beteiligten können neue Ansätze als Neukombination und Verschmelzung verschiedener Ideen und Konzepte entstehen.

Ein solch gemeinsamer Lernprozess beinhaltet noch eine weitere Komponente: Das Zusammentragen verschiedener Optionen und deren Auswahl erfordert einen Abwägungs- und Bewertungsprozess, wobei sowohl die Umsetzbarkeit als auch die Wirkung berücksichtigt werden. Für die Gestaltung dieses Lernprozesses sind sozial-kommunikative und personale Kompetenzen erforderlich. Mit der Aushandlung zwischen den Beteiligten werden mögliche Schwächen, Widerstände oder Hemmnisse aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, wodurch blinde Flecken und unerwünschte Nebenfolgen aus Sicht nachhaltiger Entwicklung in den Blick genommen werden. Dieses Vorgehen macht die Anwendung und Lösungsansätze „robuster“.

Die Studierenden bringen ihr Fachwissen aus dem Studium und ihre lebensweltlichen Erfahrungen ein, sie stellen Fragen und kreieren Ideen und Innovationen. Die Praxispartner*innen stellen ihr Praxiswissen bereit und können die Machbarkeit der wissenschaftlichen Ansätze abschätzen. Die Lehrenden schließlich können die Selbstorganisation des Lernprozesses unterstützen und sichern die Qualität des Lernprozesses. Ihre Rolle ändert sich in Richtung Prozess- und Lernbegleitung sowie Coaching.

HERVORHEBEN/EINRÜCKEN

Stimme Transferexpertin: „Lehrende, Studierende und Praxisakteure befassen sich in der Lehre gemeinsam mit Problemen und versuchen, diese durch den Austausch ihres bestehenden Wissens zu lösen. Dafür muss man ja nicht unbedingt neues Wissen durch Forschung generieren. Es reicht schon, sich über das Wissen, das man hat, auszutauschen und es anzuwenden. Dadurch kann ein Lerneffekt bei allen drei Gruppen zustande kommen.“ (Expertin 07)


4. Phase: Ergebnissicherung und Dokumentation im Lehr-Lern-Prozess

Die formale Ergebnissicherung bei Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre besteht i.d.R. in der Prüfungsleistung der Studierenden. Dazu gehören kompetenzorientierte Prüfungsformate, die dem komplexen Lernprozess gerecht werden. Weiterhin sollten Ergebnisse des Lernprozesses für die weitere Nutzung durch die Praxisakteur*innen und ggfs. auch in der Forschung gesichert und aufbereitet werden. Im günstigsten Falle können die Prüfungsleistungen zugleich für die Aufbereitung der Ergebnisse genutzt werden. Beispielsweise kann ein Poster als schriftliche Prüfung oder als Grundlage für eine mündliche Prüfung erstellt und dann den Praxisakteur*innen für deren Kommunikation übergeben werden.

Aufgrund der lebensweltlichen Bezüge können die Aufgabenstellungen und Themenfelder bei Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre unübersichtlich und kompliziert sein. Dies beeinträchtigt die Nachvollziehbarkeit des Lernprozesses, die Anknüpfung an bisheriges Wissen und Kompetenzen wird erschwert. Eine Doku- mentation bildet die Grundlage dafür, die Transparenz dieser Prozesse zu verbessern. Dies hilft, die Lernerfahrungen und -ergebnisse einzuordnen sowie mit bestehendem Wissen zu verknüpfen, so dass sie bei künftigen Handlungen besser verfügbar sind. Nicht zuletzt können durch eine Dokumentation die vermittelten und angeeigneten Kompetenzen systematisch erfasst werden. Eine Herausforderung bleibt jedoch, die Wirkungen solch vielfältiger Lernprozesse und ihrer Lernergebnisse zu erfassen – und zu bewerten.


Querschnittsaufgabe Prozessmanagement

In allen Phasen des Nachhaltigkeitstransfers fallen organisatorische Aufgaben an, die Voraussetzung für einen gelingenden Lernprozess sind. Eine Aufgabe des Prozessmanagements ist es, den Transferakteur*innen, die sich auf einen tendenziell ertragreichen, aber riskanten Lernprozess mit offenem Ausgang einlassen, die Sicherheit zu geben, dass ein Mindestmaß an Qualität und Lernerfolg erreicht werden kann. Die Hauptverantwortlichen für das Prozessmanagement sind die Lehrenden, aufgrund ihrer Lehrverpflichtung sind sie für die ordnungsgemäße Abwicklung der Lehrveranstaltung zuständig.

Prozessmanagement steht vor der Herausforderung, einen selbstorganisierten, selbstbestimmten und ergebnisoffenen Lernprozess in einer heterogenen Akteursstruktur zu ermöglichen. Die Aufgabe besteht darin, diesen mit seiner Eigenlogik in den strukturellen Rahmen von Studiengängen, Prüfungsordnungen, Modulen und ECTS-Abrechnungen der Hochschule einzupassen. Hier besteht ein Spannungsverhältnis, das durchaus zu Einschränkungen des Transferprozesses führen kann. Umgekehrt ist jedoch gerade diese organisatorische Einbettung die Voraussetzung dafür, dass die Ressourcen der Hochschule genutzt werden und Studierende und Lehrende ihre Kompetenzen einbringen können.

Dafür ist eine Prüfung der konkreten Umsetzungsbedingungen entlang der strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen erforderlich. Die externen Strukturbedingungen stecken grob Möglichkeiten und Grenzen von Nachhaltigkeitstransfer ab, schlagen aber eher selten unmittelbar auf konkrete Transferaktivitäten durch. Im Gegensatz dazu beeinflussen die organisatorischen Bedingungen an der jeweiligen Hochschule die Ausgestaltungsmöglichkeiten in beträchtlichem Maße. Diese können anhand der Checkliste (Tab. 5) geprüft werden:

  • Bezüglich der formellen Regelungen sind Curricula, Prüfungsordnungen und Regelungen für Praktika relevant. Da die Lernprozesse bei Nachhaltigkeitstransfer recht aufwändig sein können, können zeitliche Flexibilität und Spielräume bei den Prüfungsformaten hilfreich sein. Außerdem sollten Möglichkeiten gefunden werden, die Konsequenz von „Erfolg“ oder „Scheitern“ von Transferaktivitäten und –projekten in der Lehre so auszugestalten, dass den Studieren- den auch bei einem „Scheitern“ die Lehrveranstaltung anerkannt werden kann. Die Kooperationen und gemeinsamen Lern- und Lösungsversuche können in dem Sinne scheitern, dass keine Lösung gefunden wird, einzelne Schritte nicht zu einem (gewünschten) Ergebnis führen oder die Kooperation sogar abgebrochen wird, weil sie nicht mehr als zielführend eingeschätzt wird. Die Studierenden können für diese Form des Gelingens oder Scheiterns nicht verantwortlich gemacht und der Prüfungserfolg darf daran nicht festgemacht werden. So könnte eine Dokumentation der Ergebnisse (oder des Prozesses) und deren Reflexion als Prüfungsleistung bewertet werden, sie sind auch wichtiger Teil des Lernprozesses.
  • In Bezug auf Hochschul-Governance können konkrete Ziele für Nachhaltigkeitstransfer sowie Hochschulstrategien für Transfer, nachhaltige Entwicklung, BNE etc. unterstützend für die Transferaktivitäten in der Lehre wirken.
  • Bei den Unterstützungsstrukturen sollte geprüft werden, ob Zeit, Lehrkapazität, Räume, Finanzmittel für Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre bereitgestellt und die Transferakteur*innen von der Hochschule durch Transferstellen, Nachhaltigkeitsbeauftragte, hochschuldidaktische Einrichtungen etc. unterstützt werden können. Da Nachhaltigkeitstransfer mit einigem Aufwand verbunden sein kann, könnten zusätzliche Mittel bereitgestellt werden z.B. für Fahrt- und Materialkosten oder studentische Mitarbeiter*innen. Ressourcen können auch explizit an die Studierenden und die Praxisakteur*innen vergeben werden.
  • Ein Schnittstellenmanagement für Nachhaltigkeitstransfer könnte die Kontaktanbahnung zwischen Hochschule und Praxis unterstützen. Wobei v.a. für kleinste und kleine regionale Unternehmen und Non-Profit-Organisationen Informations-, Such- und Anbahnungsformate notwendig sind, um studentisches Lernen und Praxispartner*innen miteinander zu verknüpfen. Ein solches Schnittstellenmanagement kann Studierenden, Lehrenden und Praxisak- teur*innen gleichermaßen als Anlaufstelle und Informationsplattform dienen. Es könnte den Beteiligten Ressourcen zur Verfügung stellen, um deren Mehraufwand abzupuffern, oder von sich aus aktiv die Vernetzung vorantreiben. Hier wären thematische, fächer- und studiengangsbezogene, räumliche und nach Branchen und gesellschaftlichen Handlungsfeldern sortierte Verknüpfungen denkbar. Ein Schnittstellenmanagement könnte auch Gelegenheiten für den Austausch und ein Kennenlernen schaffen, z.B. mit einem „Markt der Möglichkeiten“ oder „Themenmessen“. Die oben aufgeführten unterschiedlichen Sprachen, Lebenswelten und Erfolgslogiken der Beteiligten sollten durch ein Schnittstellenmanagement aufgegriffen und vermittelt werden. Als organisatorische Kompetenz ist weiterhin Prozess- und Netzwerkmanagement hilfreich. Ein Aspekt dabei ist eine Kultur des Erfahrungsaustauschs zwischen den Transferbeteiligten.
  • Wissenskommunikation kann die Suche nach Kooperationspartner*innen unterstützen und (gelungene) Beispiele für Nachhaltigkeitstransfer verbreiten, als ein Teil der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis.


Querschnittsaufgabe Reflexion des Lernprozesses

Eine kritische, systematisch angeleitete und fachlich-wissenschaftlich basierte Auseinandersetzung mit den Erfahrungen, die im Lernprozess gemacht wurden, und deren Bewertung ist ein zentrales Element, um eine gemeinsame Lernerfahrung in wissenschaftliche bzw. wissenschaftsbasierte Erkenntnisse und Kompetenzentwicklung zu überführen. Auf Basis einer (selbst-)kritischen Reflexion können Auswahl- und Richtungsentscheidungen transparent gemacht und begründet werden, eine zentrale Anforderung an nachhaltige Entwicklung. Eine Reflexion erhöht die Qualität des Lernprozesses in den verschiedenen Phasen. Dies gilt für die Relevanz der ausgewählten Nachhaltigkeitsthemen in der Initiierungsphase, den potenziellen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung, Risiken und mögliche Nebenfolgen der entwickelten Ansätze in der Phase der Umsetzung und eine Abschätzung der tatsächlichen Nachhaltigkeitswirkung des Lernprozesses in der Phase der Ergebnissicherung. Auch Misserfolge bei einzelnen Umsetzungsschritten oder ein „Scheitern“ des gemeinsamen Vorhabens oder des geplanten Projekts sollten, möglichst mit den Praxispartner*innen zusammen, ausgewertet werden. Gerade aus solchen Erfahrungen lässt sich viel lernen.

Eine Reflexion kann zunächst jede Akteursgruppe für sich allein vornehmen. Anspruchsvoller, aber wahrscheinlich ertragreicher ist eine gemeinsame Auswertung der verschiedenen Phasen des Lernprozesses, wobei unterschiedliche Lernergebnisse offengelegt werden sollten. Lehrende sind in erster Linie für die Anleitung der Reflexion und eine Evaluation der Lernergebnisse zuständig und können dafür wissenschaftliche Methoden einbringen. Für die Studierenden stehen die Auswertung ihrer Lernerfahrungen im Vordergrund und das Bewusstmachen der erworbenen Kompetenzen. Die Praxisakteur*innen können eine Rückmeldung zu den wissensbasierten Beiträgen (Wissen, Fragen, Methoden) von Studierenden und Lehrenden geben und neue Fragen und Wissensbedarf ableiten.


Übersichtsmatrix zu Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

Die Aufgaben bei Nachhaltigkeitstransfer lassen sich mit den strukturel-organisatorischen Rahmenbedingungen in Beziehung setzen. Mittels einer Matrix können die Punkte, die in den vier Phasen zu beachten sind, und die Querschnittsaufgaben Prozessmanagement und Reflexion übersichtlich miteinander verknüpft werden. Anhand dieser Matrix können die Nutzer*innen des Leitfadens laufende oder geplante Transferaktivitäten für einzelne Phasen analysieren: Wo stehe ich? Wo will ich hin? Welche Ziele verfolge ich mit Nachhaltigkeitstransfer? Daraus ergeben sich konkrete Ansatzpunkte für die Gestaltung, Weiterentwicklung und Verbesserungen von Nachhaltigkeitstransfer.

Mit Hilfe der Übersichtsmatrix kann Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre in seinen höchst unterschiedlichen Ausprägungen, Formaten und Komplexitätsgraden und Akteursvielfalt beschrieben werden (Tab. 5). Sie kann als eine Heuristik genutzt werden, um Ansatzpunkte zu identifizieren, wie Nachhaltigkeitstransfer in herkömmliche Lehrkonzepte integriert bzw. ausgeweitet werden kann.

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Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung

Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung bedeutet, dass Akteur*innen aus der Praxis in die Forschung einbezogen werden. Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung strebt, entsprechend der Begriffsbestimmung in Kapitel 4, einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung an. Durch den Transfer soll die Handlungsfähigkeit der Beteiligten, Lösungen für Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung zu entwerfen und umzusetzen gestärkt werden, dieses Wissen soll dann an Dritte weitergegeben werden können. Zentrale Akteur*innen bei Nachhaltigkeitstransfer sind einerseits die beteiligten Forscher*innen und andererseits Praxisakteur*innen, die zur Bearbeitung des Forschungsgegenstands beitragen können, diese können ein breites Spektrum umfassen, z.B. Beteiligte, Betroffene, Entscheidungsträger*innen oder Expert*innen. Das nachfolgende Kapitel bezieht sich überwiegend auf transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung, weil diese eine hohe Übereinstimmung mit Nachhaltigkeitstransfer aufweist. Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung ist ein mittlerweile gut ausgearbeiteter Forschungsstrang, so dass auf bewährte Fachliteratur zurückgegriffen werden kann.

HERVORHEBUNG KASTEN:

Lesetipp Nachhaltigkeitsforschung

Bergmann, Matthias; Jahn, Thomas; Knobloch, Tobias; Krohn, Wolfgang; Pohl, Christian; Schramm, Engelbert (2010). Methoden transdisziplinärer Forschung. Ein Überblick mit Anwendungsbeispielen. Frankfurt am Main: Campus Verlag.

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HERVORHEBUNG/EINRÜCKEN

„Wenn er [Forscher] noch besser ist, dann sagt er, die Forschung ist ja nicht nur für mich, sondern ist auch für die Wirtschaft und Gesellschaft und es macht keinen Sinn, wenn ich jetzt mein Forschungsprojekt beende, der Prototyp steht in der Ecke rum, sondern er soll eine Anwendung finden.“ (Expertin 06)


Nachhaltigkeitstransfer mit dem Komplexitätsgrad Angebotsorientierung entspricht einem traditionellen Verständnis von Technologie- und Wissenstransfer (vgl. Kap. 3), z.B. die Erforschung von Technologien zur Nutzung von Holz als nachwachsender Ressource anstelle nicht-erneuerbarer Ressourcen in den Ingenieurwissenschaften und die Anwendung der Techniken in Unternehmen. Ein solch einseitiger Transfer entspricht nicht dem Verständnis transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung, leistet aber einen notwendigen Beitrag zur Verbreitung von Nachhaltigkeitswissen. Beim Komplexitätsgrad des wechselseitigen Austausches werden Praxisakteur*innen bei einzelnen Schritten des For- schungszyklus‘ beteiligt; z. B. geben sie einen Input oder eine Rückmeldung zum Nachhaltigkeitsproblem, das untersucht werden soll, steuern Fachexpertise für die Entwicklung von Lösungen bei, bewerten die Ergebnisse aus Praxissicht, geben Hinweise für die Implementierung. Beim Komplexitätsgrad der Ko-Produktion entwickeln Praxisakteur*innen und Forscher*innen gemeinsam und auf Augenhöhe – womit gemeint ist, dass die Beiträge aller prinzipiell als gleichwertig angesehen werden – Nachhaltigkeitsinnovationen oder -lösungen. Dies umfasst die gemeinsame Problembeschreibung und Konzeption des Forschungsvorhabens (Ko-Design), die Bearbeitung des Forschungsgegenstands (Ko-Produktion) sowie die gemeinsame Auseinandersetzung dazu, wo und wie die Erkenntnisse in Praxis und Wissenschaft für eine nachhaltige Entwicklung genutzt werden können. Beim Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung liegt der Fokus auf der Anwendungsorientierung, dem Test, der Erprobung, den Bedingungen für die Implementierung und auf der Reflexion dieser praxisbezogenen Erfahrungen im Forschungsprozess.

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Operationalisierung von Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung

Entsprechend der vier idealtypischen Phasen werden die relevanten Aufgaben von Nachhaltigkeitstransfer dargestellt (vgl. Tabelle 3).

1. Phase: Initiierung von Nachhaltigkeitstransfer

Auch in der Forschung besteht die Schwierigkeit darin, die richtigen Transferpartner*innen zu identifizieren und zusammenzubringen. Kristallisationspunkt kann ein gesellschaftliches Nachhaltigkeitsproblem sein. Schrittweise können dann die Akteur*innen mit den für die Lösung erforderlichen Kapazitäten und Zugängen ausgewählt und hinzugezogen werden. Hierbei sind Sondierungen und Netzwerkarbeit hilfreich, z. B. Unternehmertreffen oder andere sektorspezifische Austauschformate. Ein anderer Zugang können bereits bestehende Praxis-Forschungs-Netzwerke sein, die sich bewährt haben und in denen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist.

Im Kern der Initiierungsphase steht eine gemeinsame Problembeschreibung, wobei eine Übersetzung von gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsproblemen, die in der Praxis beschrieben werden, in wissenschaftliche Fragestellungen der kritische Punkt sind. Bei diesem Schritt der inhaltlichen Zusammenarbeit lässt sich bereits testen, wie gut die verschiedenen Transferpartner*innen miteinander zusammenarbeiten können. Hierbei zeichnet sich in der Regel bereits ab, ob die jeweiligen Interessen an der konkreten Transferaktivität miteinander kompatibel sind und ob es eine ausreichende Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit gibt. Im Hinblick auf Nachhaltigkeitstransfer ist die Praxiskomponente im Forschungsprozess wichtig, also Aspekte wie Implementierung, Test, Erprobung, Anwendung.

2. Phase: Konzeption der Transferaktivität

Zentrale Aufgabe dieser Phase ist die gemeinsame Formulierung von Forschungszielen – die einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten (sollen). Die Begründung des potenziellen Beitrags zur Nachhaltigkeit kann sowohl aus der Praxis als auch aus der Wissenschaft, gegebenenfalls auch aus der Politik heraus erfolgen, die gemeinsame Argumentation sollte sowohl in der Wissenschaft (z. B. in Form von Hypothesen) als auch in der Praxis (z. B. Nutzen für die konkrete Problemlösung) tragfähig sein. Worin der Nutzen für nachhaltige Entwicklung besteht und welche Risiken bestehen, das sollte im Rahmen der Querschnittsaufgabe Reflexion geklärt werden. Die Transferpartner*innen können neben den gemeinsamen Transferzielen auch gruppenspezifische Interessen verfolgen, z.B. Nachweis von Forschungsleistungen in Form begutachteter Publikationen oder Verbesserung der Organisationsleistung, z.B. einer Kommune durch verbesserte Planung oder eines Unternehmens durch Nachhaltigkeitsinnovationen.

Entsprechend der gemeinsamen Transferziele entwickeln die Partner*innen ein Forschungsdesign, einschließlich Arbeits- und Ressourcenplan, Methodenwahl und Verwertungskonzept. Das transferbezogene Forschungsdesign kann von einem niedrigen Komplexitätsgrad wie dem Test entwickelter Techniken und Verfahren unter praktischen Bedingungen bis hin zu einem hohen Komplexitätsgrad mit Formaten wie Aktionsforschung oder Reallaboren reichen (Schneidewind & Singer-Brodowski 2014; Wagner & Grunwald 2015). In organisatorischer Sicht muss geklärt werden, wer welche Ressourcen (Zeit, Expertise, Räume, Instrumente, Geld) in den Forschungsprozess einbringt.


3. Phase: Umsetzung der Nachhaltigkeitsforschung

In der Phase der Umsetzung geht es um die gemeinsame Wissensproduktion, diese kann Analyse, Konzeption und Entwicklung sowie in einer Anwendungsorientierung eine praktische Erprobung solcher Lösungsansätze durch Test, Intervention oder Implementierung umfassen. Insbesondere durch die Anwendung und Umsetzung werden Theorie und Praxis miteinander verknüpft, die praktische Problemlösung, die konkreten Anwendungs- und Umsetzungsbedingungen, Voraussetzungen und Aufwand der Implementierung sowie Nutzen, Wirkungen und Nebenwirkungen rücken dabei in den Fokus von Nachhaltigkeitstransfer und machen dessen spezifischen Charakter im Kontext transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung aus.

Für diesen Zweck sind offene Methoden geeignet, die für die Praxisakteur*innen zugänglich und praktikabel sind und keine hohen disziplinspezifischen Voraussetzungen darstellen. Eine solche Methode ist beispielsweise die Situationsanalyse, bei der die verschiedenen Wissensbestände sowie auch Bewertungen durch ein Mapping zusammengeführt werden (Clarke 2012; Thomas & Wehinger 2009). Der Vorteil dieser pragmatischen, induktiven Herangehensweise ist eben der Verzicht auf eine (disziplinär geprägte) Leittheorie. Für die Erarbeitung einer Situationsanalyse kann beispielsweise die Konstellationsanalyse als interdisziplinäres Brückenkonzept für die Nachhaltigkeits- und Innovationsforschung genutzt werden (Schön et al. 2007). Ein bislang in der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung noch wenig beleuchteter Aspekt ist die Implementierung von Konzepten und Lösungen und die gemeinsame Auswertung der dabei gemachten Erfahrungen. Die Transferperspektive kann genau diesen Aspekt stärken und zu einer konzeptionellen Ausarbeitung von „Ko-Implementierung“ beitragen, was die bisher deutlich weiter entwickelten Konzepte von Ko-Design und Ko-Produktion abrunden würde.

Hier ist der konzeptionelle Bezug auf transdisziplinäre (Nachhaltigkeits-)Forschung hilfreich, die u.a. darauf verweist, dass die Ergebnisse der gemeinsamen Wissensproduktion für die jeweilige Verwendung sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis entwickelt werden, wodurch spezifische Lernprozesse angestoßen werden können (Bergmann et al. 2010; Lang et al. 2012).


4. Phase: Ergebnissicherung und -aufbereitung für die (praktische) Nutzung

Bei Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung achten die Beteiligten, anders als bei der Lehre, sehr viel stärker auf die Ergebnissicherung, denn diese stellt in der Regel das Ziel von Nachhaltigkeitsforschung dar, bei der es um die Erzeugung von – möglichst übertragbarem – Wissen geht. Sowohl die beteiligten Forscher*innen als auch die Geldgeber der Drittmittelforschung legen Wert auf die wissenschaftliche Verwertung der Ergebnisse, vorrangig in Form wissenschaftlicher Publikationen. Hinzu kommen Forschungsberichte für die Geldgeber und Patentanmeldungen. Durch Nachhaltigkeitstransfer wird der Blick stärker auf die Nutzbarmachung der Ergebnisse für die Praxis gelenkt. Dies können konkrete Produkte und Dienstleistungen, Geschäftsmodelle, Praxisprojekte, Konzepte, Pläne, Leitfäden, Transferpublikationen sowie weiterreichende Ergebnisformate wie Strategien, Leitbilder und Visionen sein. Auch öffentliche Erklärungen und Stellungnahmen, die gemeinsam von Wissenschaft und Praxis abgegeben werden oder Beratungsleistungen gehören dazu. Diese Ergebnisformate sind in der Wissenschaft eher ungewohnt und müssen mit den Praxisakteur*innen gemeinsam erstellt werden, um einen hohen Nutzen für die Anwendung sicherzustellen.

Und auch für Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung stellt sich die Aufgabe der Evaluation und Wirkungsanalyse, die wie bereits ausgeführt wissenschaftlich äußerst anspruchsvoll ist. So stellen Kaufmann-Hayoz et al. fest „Es besteht Einigkeit darüber, dass außerwissenschaftliche Wirkungen von Forschung nicht unmittelbar und direkt als Folge von Diffusionsleistungen der Forschenden eintreten, sondern ein Ergebnis komplexer und nicht-linearer (Kommunikations-)Prozesse sind, bei denen außer den Forschenden sowohl weitere Akteur*innen, insbesondere Knowledge Broker, wie auch verschiedene situative Faktoren eine Rolle spielen.“ (Kaufmann-Hayoz et al. 2016, S. 301) Die Formulierung einer Wirkungslogik oder von Wirkungsketten durch die Transferakteur*innen könnte zu einer systematischeren Wirkungsbilanzierung beitragen (Kurz & Kubek 2015), ist aber jeweils projektspezifisch zu operationalisieren und sehr aufwändig. Kaufmann-Hayoz et al. schlagen eine Differenzierung nach Ergebnistypen vor (außer-wissenschaftliche Ergebnisdarstellung; Leitfäden und Tools; Veränderungen im Feld), um verschiedene Wirkungen einordnen zu können (Kaufmann-Hayoz et al. 2016). Nachhaltigkeitstransfer kann an diese Überlegungen anknüpfen und die Bewertung und Einschätzung der Wirkung durch die beteiligten Praxisakteur*innen als besondere Stärke einbringen.


Querschnittsaufgabe Prozessmanagement

Die Spielräume der Transferakteur*innen in der Forschung werden durch die jeweiligen Rahmenbedingungen festgelegt (vgl. Tab. 2). Eine erste Anforderung an das Prozessmanagement ist die Klärung der jeweiligen Strukturbedingungen und hochschulinternen Forschungsbedingungen. Besonders relevant ist dabei die Akquise von Forschungsgeldern. In der Regel handelt es sich um Drittmittel, für die sich der Forschungsverbund mit einem Antrag bewerben muss. Die Identifizierung passender Ausschreibungen und Förderprogramme ist daher eine wichtige Aufgabe. Hierbei kann ein Schnittstellenmanagement (oder auch eine Forschungsabteilung, eine Transferstelle etc.) die Transferpartner*innen wirkungsvoll unterstützen. Schließlich kann die Kommunikationsabteilung der Hochschule die Außendarstellung der Transferaktivitäten unterstützen.

Entsprechend der Phasen beim Nachhaltigkeitstransfer (vgl. Tabelle 4) kristallisieren sich folgende wichtige Aufgaben für das Prozessmanagement heraus. In der Initiierungsphase sind das Management der Kontaktanbahnung sowie eine Kommunikation mit und zwischen den potentiellen Transferpartner*innen wichtig, um zu Beginn eine Kommunikations- und Kooperationskultur zu etablieren und Vertrauen aufzubauen. Dies kann sehr zeitaufwändig sein. In der Konzeptionsphase steht in der Regel die Antragstellung im Vordergrund, die ebenfalls einer Unterstützung in Form von Netzwerkmanagement, Kommunikation, Moderation und Übersetzung zwischen den verschiedenen Fachsprachen be- darf. In der Phase der Umsetzung ist die Organisation des Austausches und der Reflexion wichtig, damit die verschiedenen Akteur*innen und Arbeitspakete nicht aneinander vorbei arbeiten. Die Transferpartner*innen benötigen außerdem Unterstützung und Begleitung bei denjenigen Aktivitäten, die nicht unmittelbar im Bereich ihrer Expertise liegen, z.B. praktische Anwendung und Umsetzung auf Seiten der Wissenschaftler*innen oder Analyse auf Seiten der Praxisakteur*innen. In der Phase der Ergebnissicherung ist insbesondere die Kommunikation nach außen anspruchsvoll, weil jeweils ungewohnte Kommunikationskanäle bedient werden müssen, z.B. Transferpublikationen der Wissenschaftler*innen.


Querschnittsaufgabe Reflexion

Reflexion ist für Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung ein Erfolgsfaktor. Die Reflexion und Begründung der Nachhaltigkeitswirkung der Transferaktivität muss sektorübergreifend zwischen Wissenschaft und Praxis erfolgen, um „robust“ gegenüber Kritik aus beiden Domänen zu sein. Die Formulierung von Transferziele und Forschungsfragen ist bei heterogenen Akteur*innen anspruchsvoll und der Erfolg keinesfalls gewährleistet. Gestützt auf Moderation und Kommunikation ist es Aufgabe der Reflexion, die verschiedenen Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand, die Problemlösung und deren Implementierung für alle Beteiligten deutlich und mögliche Unterschiede oder Widersprüchen konstruktiv für Lösungsansätze fruchtbar zu machen.

Zentrales Thema für die Reflexion in allen Phasen ist die Diskussion darüber, ob die Transferaktivität zu nachhaltiger Entwicklung beiträgt, in welchem Umfang bzw. mit welcher Wirkung, aber auch, was mögliche Risiken oder Unsicherheiten der vorgeschlagenen Lösungen sowie unbeabsichtigte Nebenfolgen sein können. Diese Reflexion transdisziplinär zu führen, bedeutet auch, dass nicht eine Begründungslogik – z. B. die der Wissenschaft – dominiert, sondern dass verschiedene Geltungsansprüche argumentativ zusammengeführt werden. Das schließt Abwägungsprozesse und Bewertung mit ein, die zwischen den Transferpartner*innen verhandelt werden müssen. Eine wissensbasierte Anleitung, Interessenneutralität und Moderation können wichtige Voraussetzungen für eine gelungene Reflexion sein. Wichtig ist, die Praxisakteur*innen dabei mitzunehmen und Formate zu finden, die ihnen zeitlich und fachlich gerecht werden.


Übersichtsmatrix zu Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung

Die Anforderungen an Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung lassen sich anhand der Übersichtsmatrix (Tabelle 6) zusammenführen. Dabei werden die Aufgaben in den vier Phasen von Nachhaltigkeitstransfer den Querschnittsaufgaben Prozessmanagement und Reflexion gegenübergestellt. Für die einzelnen Phasen können so kritische Punkte identifiziert werden und ermöglichen eine Einschätzung der jeweiligen Transferaktivität. Letztere wird durch die Zusammenstellung von Fragen als eine Art Checkliste erleichtert.

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