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** '''Inhalt:''' NE-bezogene konkrete Lehrinhalte/Themen
 
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** '''Wissenschaft:''' NE-bezogene wissenschaftliche Arbeit der Studierenden, sowie Auseinandersetzung mit Wissenschaft als Teil von NE
 
** '''Wissenschaft:''' NE-bezogene wissenschaftliche Arbeit der Studierenden, sowie Auseinandersetzung mit Wissenschaft als Teil von NE
Ethik: NE-bezogene ethische Grundlagen, sowie spezifische ethische Aspekte, die mit den gewählten NE-Inhalten und wissenschaftlichen Formaten verbunden sind
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** '''Ethik:''' NE-bezogene ethische Grundlagen, sowie spezifische ethische Aspekte, die mit den gewählten NE-Inhalten und wissenschaftlichen Formaten verbunden sind
 
** '''Partizipation:''' Möglichkeiten für Studierende in den o.g. Bereichen kollaborativ zu arbeiten und dies mit Unterstützung zu lernen, sowie an der Gestaltung von Lehre & Lernen (demokratisch) mitzuwirken und Verantwortung dafür zu übernehmen
 
** '''Partizipation:''' Möglichkeiten für Studierende in den o.g. Bereichen kollaborativ zu arbeiten und dies mit Unterstützung zu lernen, sowie an der Gestaltung von Lehre & Lernen (demokratisch) mitzuwirken und Verantwortung dafür zu übernehmen
 
* '''Wie (& was):''' Transformative Didaktik, Methoden und Lehr-Lern-Formate, in denen BNE-Lehre stattfindet: Sie setzen das Bildungskonzept um und schaffen die nötigen Lern-Räume für die Lernziele. Wir beziehen uns hier sowohl auf Didaktik im engeren Sinn, also Ziele und Inhalte vermitteln, als auch auf Methodik, also die konkrete Umsetzung und Organisation der Lernprozesse. (Im Orientierungsrahmen ist dieser Bereich der Lehrplanung der Übersichtlichkeit halber als eigene Zeile dargestellt; Fachdidaktiker*innen können ihn sich auch querliegend zu den anderen Elementen vorstellen.)
 
* '''Wie (& was):''' Transformative Didaktik, Methoden und Lehr-Lern-Formate, in denen BNE-Lehre stattfindet: Sie setzen das Bildungskonzept um und schaffen die nötigen Lern-Räume für die Lernziele. Wir beziehen uns hier sowohl auf Didaktik im engeren Sinn, also Ziele und Inhalte vermitteln, als auch auf Methodik, also die konkrete Umsetzung und Organisation der Lernprozesse. (Im Orientierungsrahmen ist dieser Bereich der Lehrplanung der Übersichtlichkeit halber als eigene Zeile dargestellt; Fachdidaktiker*innen können ihn sich auch querliegend zu den anderen Elementen vorstellen.)
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Im Folgenden werden die Kernelemente beschrieben und Möglichkeiten der Umsetzung aufgezeigt. Bei der Implementierung in konkreten Lehrkontexten und Curricula wird die Ausprägung der Elemente selbstverständlich an diese sowie an die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lernenden und die Möglichkeiten und Ressourcen der Lehrenden angepasst. Am Ende jedes Abschnitts findet sich eine These zu „guter“ Hochschul-BNE, die zur eigenen Auseinandersetzung mit Qualitätsmerkmalen anregen möchte.
 
Im Folgenden werden die Kernelemente beschrieben und Möglichkeiten der Umsetzung aufgezeigt. Bei der Implementierung in konkreten Lehrkontexten und Curricula wird die Ausprägung der Elemente selbstverständlich an diese sowie an die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lernenden und die Möglichkeiten und Ressourcen der Lehrenden angepasst. Am Ende jedes Abschnitts findet sich eine These zu „guter“ Hochschul-BNE, die zur eigenen Auseinandersetzung mit Qualitätsmerkmalen anregen möchte.
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=== Begründung – Notwendigkeit und Herausforderung von BNE ===
 
=== Begründung – Notwendigkeit und Herausforderung von BNE ===
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Bildung für Nachhaltige Entwicklung als Bildungskonzept hat sich in einem spezifischen historisch-politisch-kulturellen Rahmen entwickelt, geleitet von der Erkenntnis, dass die Übernutzung natürlicher Ressourcen durch Teile der Menschheit das Überleben der gesamten Menschheit und der nicht-menschlichen Natur zu gefährden beginnt [5], [6]. Außerdem ist diese global wirksame Nicht-Nachhaltige Entwicklung und ihre Geschichte eine der Hauptursachen für globale Ungleichheit, Ungerechtigkeit, und viele Formen der Armut. Darin wird die Notwendigkeit von Nachhaltiger Entwicklung begründet, und damit auch BNE als wichtiger leverage point („Hebel-Ansatzpunkt“) für die gesellschaftliche Transformation hin zu Nachhaltiger Entwicklung. BNE hat hier drei tiefe Wurzeln, an denen Hochschulbildung ganz besonders gut anknüpft:
 
Bildung für Nachhaltige Entwicklung als Bildungskonzept hat sich in einem spezifischen historisch-politisch-kulturellen Rahmen entwickelt, geleitet von der Erkenntnis, dass die Übernutzung natürlicher Ressourcen durch Teile der Menschheit das Überleben der gesamten Menschheit und der nicht-menschlichen Natur zu gefährden beginnt [5], [6]. Außerdem ist diese global wirksame Nicht-Nachhaltige Entwicklung und ihre Geschichte eine der Hauptursachen für globale Ungleichheit, Ungerechtigkeit, und viele Formen der Armut. Darin wird die Notwendigkeit von Nachhaltiger Entwicklung begründet, und damit auch BNE als wichtiger leverage point („Hebel-Ansatzpunkt“) für die gesellschaftliche Transformation hin zu Nachhaltiger Entwicklung. BNE hat hier drei tiefe Wurzeln, an denen Hochschulbildung ganz besonders gut anknüpft:
  
# '''Wissenschaft:''' Die oben genannte Einsicht beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, z.B. die Endlichkeit von Ressourcen, Veränderungen in Biosphäre und ökologischen Systemen durch menschliche Einflüsse, bestehende und zu- künftig mögliche Auswirkungen auf soziale Systeme. Wissenschaftliche Daten zeigen Problematiken auf wie z. B. anthropogenen Klimawandel, Hunger, u. a. – die sogenannten Grand Challenges. Der Diskurs von NE, und damit auch BNE, beruht also auch auf einem Ver- ständnis von Wissenschaftlichkeit: Dass es zum einen möglich ist, nachvollziehbare Daten zu erheben, Fakten zu dokumentieren und Aus- sagen zu treffen und zum anderen, dass Auseinandersetzungen um diese Aussagen auf Kriterien der Wissenschaftlichkeit beruhen sollten, nicht auf ‚gefühlten Wahrheiten‘ des Populismus oder Algorithmen sozialer Medien. Die Versuche der Wissenschaften, Lösungen für die Grand Challenges zu finden, verändern wiederum Wissenschaft: komplexe, systemische Herausforderungen erfordern Interdisziplinarität, forschend-lernende Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteur*innen (Transdisziplinarität), sowie das Einbeziehen anderer Wissensformen (z.B. indigenes Wissen); neue wissenschaftliche Methoden werden entwickelt. '''Die markanteste Besonderheit von Hochschul-BNE, die sie von anderen Bildungskontexten unterscheidet, ist die wissenschaftliche Bildung.''' Durch sie werden Studierende befähigt, sich nicht nur fundiert mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzen und Informationen und Debatten auf ihre Validität zu prüfen, sondern auch dazu, selbst neues Wissen zu generieren. BNE betont die Untrennbarkeit von Wissenschaft und Gesellschaft und ermöglicht Studierenden insbesondere:
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1. '''Wissenschaft:''' Die oben genannte Einsicht beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, z.B. die Endlichkeit von Ressourcen, Veränderungen in Biosphäre und ökologischen Systemen durch menschliche Einflüsse, bestehende und zu- künftig mögliche Auswirkungen auf soziale Systeme. Wissenschaftliche Daten zeigen Problematiken auf wie z. B. anthropogenen Klimawandel, Hunger, u. a. – die sogenannten Grand Challenges. Der Diskurs von NE, und damit auch BNE, beruht also auch auf einem Ver- ständnis von Wissenschaftlichkeit: Dass es zum einen möglich ist, nachvollziehbare Daten zu erheben, Fakten zu dokumentieren und Aus- sagen zu treffen und zum anderen, dass Auseinandersetzungen um diese Aussagen auf Kriterien der Wissenschaftlichkeit beruhen sollten, nicht auf ‚gefühlten Wahrheiten‘ des Populismus oder Algorithmen sozialer Medien. Die Versuche der Wissenschaften, Lösungen für die Grand Challenges zu finden, verändern wiederum Wissenschaft: komplexe, systemische Herausforderungen erfordern Interdisziplinarität, forschend-lernende Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteur*innen (Transdisziplinarität), sowie das Einbeziehen anderer Wissensformen (z.B. indigenes Wissen); neue wissenschaftliche Methoden werden entwickelt. '''Die markanteste Besonderheit von Hochschul-BNE, die sie von anderen Bildungskontexten unterscheidet, ist die wissenschaftliche Bildung.''' Durch sie werden Studierende befähigt, sich nicht nur fundiert mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzen und Informationen und Debatten auf ihre Validität zu prüfen, sondern auch dazu, selbst neues Wissen zu generieren. BNE betont die Untrennbarkeit von Wissenschaft und Gesellschaft und ermöglicht Studierenden insbesondere:
 
** Fragen zur Rolle und Verantwortung der Wissenschaften allgemein sowie speziell des eigenen Fachs in Bezug auf (nicht-)Nachhaltige Entwicklung zu stellen
 
** Fragen zur Rolle und Verantwortung der Wissenschaften allgemein sowie speziell des eigenen Fachs in Bezug auf (nicht-)Nachhaltige Entwicklung zu stellen
 
** Durch forschendes Lernen an wissenschaftlichen Beiträgen und Innovationen für nachhaltiger Entwicklung mitzuarbeiten
 
** Durch forschendes Lernen an wissenschaftlichen Beiträgen und Innovationen für nachhaltiger Entwicklung mitzuarbeiten
 
** Teilzuhaben an der Weiterentwicklung von Wissenschaft, neuen Methoden der Wissensproduktion und -kommunikation, die den Herausforderungen unserer Zeit angemessen sind
 
** Teilzuhaben an der Weiterentwicklung von Wissenschaft, neuen Methoden der Wissensproduktion und -kommunikation, die den Herausforderungen unserer Zeit angemessen sind
  
# '''Normative Orientierung (Ethik):''' (B)NE beruht zentral auf normativen Setzungen: Menschliches Leben auf der Erde ist erhaltens- und fördernswert, deshalb müssen für unser Überleben gefährliche ökologische Veränderungen begrenzt werden. Dabei ist eine ungleiche Verteilung von ökologischen und ökonomischen Lasten und Nutzen zwischen sozialen/nationalen Gruppen ungerecht, daher sollen die Bedürfnisse der Ärmsten Priorität haben [7]. Hinzu kommt, dass auch nicht-menschliche Lebensformen einen Wert haben und menschliches Verhalten auch für diese Sorge tragen sollte. Diese normativen Setzungen sind gut begründet, z.B. im Diskurs der Menschenrechte, und werden auch gegenwärtig weiterentwickelt, z. B. in Diskursen der Dekolonialität, der Gerechtigkeitstheorien, der Tierethik und Umweltethik (Biologische Vielfalt). Die ethische Frage „was sollen wir tun“, aber auch „was sollen wir können“ wird im Diskurs der Nachhaltigen Entwicklung also innerhalb bestimmter normativer Rahmungen ausgehandelt, interpretiert, und immer wieder neu beantwortet. Entsprechend dieser ethischen Grundlagen und Zielsetzungen sollen gegenwärtige Produktions-, Wirtschafts- und Lebensweisen so verändert werden, dass ein gutes Leben für alle Heutigen und Künftigen innerhalb ökologisch sicherer und sozial gerechter Grenzen möglich wird: '''„A social foundation no one should fall below and an ecological ceiling of planetary pressure that we should not go beyond. Between the two lies a safe and just space for all.”''' [8:S.9]. Dies stellt wiederum Fragen an die Hochschule: Wie soll Forschung und Lehre in (dieser) gesellschaftlichen Verantwortung gestaltet werden? Ein Studium soll zur Übernahme von Verantwortung in der Gesellschaft befähigen – circa 80 Prozent der entscheidungstragenden Positionen sind mit Absolvent*innen aus Hochschulen besetzt [9], Karrieren in der Wissenschaft zu 100 Prozent. Verantwortung bezieht sich immer auf konkrete Werte und Normen. Entscheidungen wiederum beziehen sich auf das, was im Kontext dieser Werte und Normen als erstrebenswert bewertet wird. Das bedeutet, dass zur Hochschulbildung notwendigerweise auch eine ethische Bildung gehört, um gesellschaftliche und fachspezifische Werte und Normen erkennen, hinterfragen, und eigenständig bewerten zu können. BNE zeigt diese Notwendigkeit auf und ermöglicht Studierenden insbesondere:
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2. '''Normative Orientierung (Ethik):''' (B)NE beruht zentral auf normativen Setzungen: Menschliches Leben auf der Erde ist erhaltens- und fördernswert, deshalb müssen für unser Überleben gefährliche ökologische Veränderungen begrenzt werden. Dabei ist eine ungleiche Verteilung von ökologischen und ökonomischen Lasten und Nutzen zwischen sozialen/nationalen Gruppen ungerecht, daher sollen die Bedürfnisse der Ärmsten Priorität haben [7]. Hinzu kommt, dass auch nicht-menschliche Lebensformen einen Wert haben und menschliches Verhalten auch für diese Sorge tragen sollte. Diese normativen Setzungen sind gut begründet, z.B. im Diskurs der Menschenrechte, und werden auch gegenwärtig weiterentwickelt, z. B. in Diskursen der Dekolonialität, der Gerechtigkeitstheorien, der Tierethik und Umweltethik (Biologische Vielfalt). Die ethische Frage „was sollen wir tun“, aber auch „was sollen wir können“ wird im Diskurs der Nachhaltigen Entwicklung also innerhalb bestimmter normativer Rahmungen ausgehandelt, interpretiert, und immer wieder neu beantwortet. Entsprechend dieser ethischen Grundlagen und Zielsetzungen sollen gegenwärtige Produktions-, Wirtschafts- und Lebensweisen so verändert werden, dass ein gutes Leben für alle Heutigen und Künftigen innerhalb ökologisch sicherer und sozial gerechter Grenzen möglich wird: '''„A social foundation no one should fall below and an ecological ceiling of planetary pressure that we should not go beyond. Between the two lies a safe and just space for all.”''' [8:S.9]. Dies stellt wiederum Fragen an die Hochschule: Wie soll Forschung und Lehre in (dieser) gesellschaftlichen Verantwortung gestaltet werden? Ein Studium soll zur Übernahme von Verantwortung in der Gesellschaft befähigen – circa 80 Prozent der entscheidungstragenden Positionen sind mit Absolvent*innen aus Hochschulen besetzt [9], Karrieren in der Wissenschaft zu 100 Prozent. Verantwortung bezieht sich immer auf konkrete Werte und Normen. Entscheidungen wiederum beziehen sich auf das, was im Kontext dieser Werte und Normen als erstrebenswert bewertet wird. Das bedeutet, dass zur Hochschulbildung notwendigerweise auch eine ethische Bildung gehört, um gesellschaftliche und fachspezifische Werte und Normen erkennen, hinterfragen, und eigenständig bewerten zu können. BNE zeigt diese Notwendigkeit auf und ermöglicht Studierenden insbesondere:
 
** ethische, insbesondere Gerechtigkeitsfragen der Herausforderungen der Gegenwart fachübergreifend zu erkunden, sowie bestehende gesellschaftliche Werte, Normen, und Praktiken fundiert daraufhin zu befragen
 
** ethische, insbesondere Gerechtigkeitsfragen der Herausforderungen der Gegenwart fachübergreifend zu erkunden, sowie bestehende gesellschaftliche Werte, Normen, und Praktiken fundiert daraufhin zu befragen
 
** Fragen der Wissenschaftsethik in ihrem Fach um Fragen der anwendungsbezogenen Ethik und der möglichen Wirkungen fachlicher Forschung im Kontext Nachhaltiger Entwicklung zu erweitern
 
** Fragen der Wissenschaftsethik in ihrem Fach um Fragen der anwendungsbezogenen Ethik und der möglichen Wirkungen fachlicher Forschung im Kontext Nachhaltiger Entwicklung zu erweitern
 
** eigene Wertvorstellungen im gesellschaftlichen und globalen Kontext zu verstehen und zu hinterfragen und für sich selbst die Frage, was wir angesichts der Herausforderungen der Gegenwart „wollen und können sollen“, bewusst zu beantworten
 
** eigene Wertvorstellungen im gesellschaftlichen und globalen Kontext zu verstehen und zu hinterfragen und für sich selbst die Frage, was wir angesichts der Herausforderungen der Gegenwart „wollen und können sollen“, bewusst zu beantworten
  
# Emanzipatorischer Bildungsauftrag: Bildung für Nachhaltige Entwicklung soll Menschen befähigen, die gesellschaftliche Transformation vor dem Hintergrund der „Grand Challenges“ zu gestalten. Da Nachhaltige Entwicklung ein gesellschaftlich anerkanntes Ziel ist, ebenso wie Demokratie, ist dies schlüssig, birgt jedoch ein Spannungsfeld: Wenn Nachhaltigkeit bereits als normatives Ziel vorausgesetzt wird, und Bildung „dafür“ befähigen soll, dann scheint sie in Spannung zu stehen mit dem ersten Grundsatz des Beutelsbacher Konsens: Überwältigungs- bzw. Indoktrinationsverbot ('''„Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination.“''' [10]). Der Bildungsauftrag in säkularen, freiheitlich-demokratischen Staaten ist ein emanzipatorischer: Studierende sollen selbst kritisch denken, Informationen bewerten, begründet argumentieren, Konsequenzen bedenken, bewusst entscheiden und verantwortlich handeln lernen. BNE muss also Studierende befähigen, in Bezug auf die sozial-ökologischen Probleme der Gegenwart genau all das zu tun und Nachhaltige Entwicklung nicht als „die Antwort“, sondern als einen in demokratischen Prozessen entstandenen Antwortdiskurs auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu begreifen, den sie mitgestalten können. BNE ist also keinesfalls ein „Erziehen“ zu einem bestimmten Verhalten, sondern eine Befähigung und Kompetenzentwicklung zur eigenständigen Beteiligung an unbestreitbar wichtigen gesellschaftlichen Prozessen. Darüber hinaus stellen Fragen der Nachhaltigen Entwicklung gesellschaftliche bzw. Mensch-Natur-Verhältnisse grundsätzlich in Frage und öffnen Raum für die Entwicklung alternativer Gesellschaftsentwürfe. BNE bringt hier politische und emanzipatorische Bildung als notwendige Bestandteile der Hochschulbildung wieder deutlich in den Vordergrund und ermöglicht Studierenden insbesondere:
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3. '''Emanzipatorischer Bildungsauftrag:''' Bildung für Nachhaltige Entwicklung soll Menschen befähigen, die gesellschaftliche Transformation vor dem Hintergrund der „Grand Challenges“ zu gestalten. Da Nachhaltige Entwicklung ein gesellschaftlich anerkanntes Ziel ist, ebenso wie Demokratie, ist dies schlüssig, birgt jedoch ein Spannungsfeld: Wenn Nachhaltigkeit bereits als normatives Ziel vorausgesetzt wird, und Bildung „dafür“ befähigen soll, dann scheint sie in Spannung zu stehen mit dem ersten Grundsatz des Beutelsbacher Konsens: Überwältigungs- bzw. Indoktrinationsverbot ('''„Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination.“''' [10]). Der Bildungsauftrag in säkularen, freiheitlich-demokratischen Staaten ist ein emanzipatorischer: Studierende sollen selbst kritisch denken, Informationen bewerten, begründet argumentieren, Konsequenzen bedenken, bewusst entscheiden und verantwortlich handeln lernen. BNE muss also Studierende befähigen, in Bezug auf die sozial-ökologischen Probleme der Gegenwart genau all das zu tun und Nachhaltige Entwicklung nicht als „die Antwort“, sondern als einen in demokratischen Prozessen entstandenen Antwortdiskurs auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu begreifen, den sie mitgestalten können. BNE ist also keinesfalls ein „Erziehen“ zu einem bestimmten Verhalten, sondern eine Befähigung und Kompetenzentwicklung zur eigenständigen Beteiligung an unbestreitbar wichtigen gesellschaftlichen Prozessen. Darüber hinaus stellen Fragen der Nachhaltigen Entwicklung gesellschaftliche bzw. Mensch-Natur-Verhältnisse grundsätzlich in Frage und öffnen Raum für die Entwicklung alternativer Gesellschaftsentwürfe. BNE bringt hier politische und emanzipatorische Bildung als notwendige Bestandteile der Hochschulbildung wieder deutlich in den Vordergrund und ermöglicht Studierenden insbesondere:
 
** gesellschaftliche Grundannahmen und Paradigmen (sowie die des eigenen Studienfachs) zu erkennen, zu analysieren, grundsätzlich in Frage zu stellen und neue Konzepte zu entwickeln
 
** gesellschaftliche Grundannahmen und Paradigmen (sowie die des eigenen Studienfachs) zu erkennen, zu analysieren, grundsätzlich in Frage zu stellen und neue Konzepte zu entwickeln
 
** (Nicht-) Nachhaltige Entwicklung (sowie die Rolle des eigenen Studienfachs darin) im Kontext historisch-politisch-kultureller Entwicklungen und Machtverhältnisse zu analysieren und verstehen
 
** (Nicht-) Nachhaltige Entwicklung (sowie die Rolle des eigenen Studienfachs darin) im Kontext historisch-politisch-kultureller Entwicklungen und Machtverhältnisse zu analysieren und verstehen
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Eine Vielzahl an Publikationen führt in BNE als Bildungskonzept und deren Besonderheiten ein und begründet ihre Notwendigkeit als querschnittsorientierter Ansatz in allen Bildungsformen. Zentrale Publikationen sind frei zugänglich unter: https://en.unesco.org/themes/education-sustainable-development
 
Eine Vielzahl an Publikationen führt in BNE als Bildungskonzept und deren Besonderheiten ein und begründet ihre Notwendigkeit als querschnittsorientierter Ansatz in allen Bildungsformen. Zentrale Publikationen sind frei zugänglich unter: https://en.unesco.org/themes/education-sustainable-development
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Zur Vertiefung:
 
Zur Vertiefung:
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Rieckmann, Marco; Schank, Christoph (2016): Sozioökonomisch fundierte Bildung für nachhaltige Entwicklung – Kompetenzentwicklung und Werteorientierungen zwischen individueller Verantwortung und struktureller Transformation. In: SOCIENCE 1 (1), S. 65–79. Online verfügbar unter www.rce-vienna.at/SOCIENCE/vol1.pdf
 
Rieckmann, Marco; Schank, Christoph (2016): Sozioökonomisch fundierte Bildung für nachhaltige Entwicklung – Kompetenzentwicklung und Werteorientierungen zwischen individueller Verantwortung und struktureller Transformation. In: SOCIENCE 1 (1), S. 65–79. Online verfügbar unter www.rce-vienna.at/SOCIENCE/vol1.pdf
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Emanzipatorische Bildung und BNE:
 
Emanzipatorische Bildung und BNE:
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Lotz-Sisitka et.al. (2015): Transformative, transgressive social learning: rethinking higher education pedagogy in times of systemic global dysfunction. Current Opinion in Environmental Sustainability, Vol. 16, October 2015, Pages 73-80 https://doi.org/10.1016/j.cosust.2015.07.018
 
Lotz-Sisitka et.al. (2015): Transformative, transgressive social learning: rethinking higher education pedagogy in times of systemic global dysfunction. Current Opinion in Environmental Sustainability, Vol. 16, October 2015, Pages 73-80 https://doi.org/10.1016/j.cosust.2015.07.018
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===Ziele – Nachhaltige Entwicklung braucht Kompetenzen===
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Leitfrage: ''Welche grundlegenden Lern-Ziele hat BNE?''
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Der Grund für BNE – die ethisch und wissenschaftlich begründete Notwendigkeit, die Grand Challenges zu bewältigen und Gesellschaft(en) entsprechend zu verändern – in Kombination mit einem emanzipatorischen Bildungsauftrag, ergibt bestimmte Ziele guter Hochschul-BNE (H-BNE). Diese können in drei Oberkategorien dargestellt werden:
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EINFÜGEN: GRAFIK
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'''Verstehen:''' Wie können die großen Herausforderungen der Gegenwart erkannt und verstanden werden? Ziel der H-BNE ist über ein Wissen um diese Themen (Problemverständnis) hinaus die Befähigung Studierender, ein eigenes Verständnis entwickeln und zu neuen Erkenntnissen beitragen zu können. Die komplexe, systemische Natur der Grand Challenges verlangt hier nach neuen Methoden und Wissenszugängen. Außerdem sind Nachhaltigkeitsprobleme nur im Zusammenhang mit Bewertung zu verstehen: erst Werte wie z. B. Menschenrechte und ökologische Integrität lassen Armut und Verlust der Artenvielfalt als Probleme hervortreten; andere Wertesysteme mögen sie als akzeptable Begleiterscheinung von „Fortschritt“ verbuchen. Verschiedene Werte zu erkennen und ihre Konsequenzen gegeneinander abwägen zu können – Bewertungskompetenz – ist integraler Teil des Verstehens in BNE.
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'''Verändern:''' Wie reagiert die Weltgesellschaft in ihrer Pluralität auf die Grand Challenges und wie lassen sie sich bewältigen? Ziel der H-BNE ist eine Befähigung Studierender, eigene Beiträge zur Lösung dieser Herausforderungen entwickeln zu können. Dazu gehört insbesondere auch, kritisch, kreativ und visionär denken zu lernen, um Paradigmen hinterfragen und völlig neue Ideen und Lösungswege entwickeln zu können. Hier öffnen Konzepte des Neudenkens von Gesellschaft, Arbeit, Ökonomie, und Mensch-Naturverhältnissen Denk-Räume für H-BNE: z. B. Care [11], Degrowth [12], Buen Vivir [13], Environmental Justice [14], u.v.m.
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'''Handeln:''' Wie können sich Gesellschaften und ihre kulturellen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Praktiken verändern? Wie funktioniert Beteiligung an solchen Veränderungsprozessen? Ziel der H-BNE ist eine Befähigung Studierender, „change agent“ sein zu können, sich motiviert und kompetent in demokratischen Beteiligungsprozessen einzubringen, sowie neue Handlungsmöglichkeiten und Beteiligungsprozesse entwickeln, initiieren und begleiten zu können.
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An diesen Zielen wird deutlich, dass Hochschul-BNE ein umfangreiches und anspruchsvolles Unterfangen ist – aber genau das macht auch ihren Reiz aus! Studierende bringen meist bereits den Wunsch und die Bereitschaft mit, an aktuellen Herausforderungen mitzuarbeiten und sind sehr engagiert, wenn sie diese Möglichkeit in ihrem Studium bekommen – und das macht es leicht, sich für Lehre ebenfalls neu zu begeistern.
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ZWEI BEISPIELE:
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Eberhard Karls Universität Tübingen Week of Links – Projekttag für Nachhaltige Entwicklung http://weekoflinks.org/
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Leuphana Universität Lüneburg Zukunftsstadt Lüneburg 2030+, www.lueneburg2030.de/das-projekt/
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=== Kernkompetenzen für Nachhaltige Entwicklung ===
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Leitfrage: ''Welche nachhaltigkeitsspezifischen Kompetenzen gehören zu den Lernzielen von BNE?''
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An den übergeordneten Lernzielen wird deutlich, dass es sich bei BNE um eine kompetenzorientierte und -basierte Lehre handelt. Da sich die Nachhaltigkeitsproblematiken, Zielvorstellungen und Lösungsansätze ständig wandeln, reicht weder bestehendes Wissen noch ein instrumenteller Problemlösungsansatz aus, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Stattdessen bedarf es Kompetenzen, um mit unterschiedlichen, neuen und komplexen Anforderungen erfolgreich umgehen zu können. BNE schließt hier an einen Trend in der Hochschulbildung an, die rein Input-orientierte (wissensbasierte) zugunsten einer Output-orientierten (kompetenzbasierten) Bildung zu verändern. Daraus ergibt sich die Frage, welche speziellen Kompetenzen die Mitgestaltung einer Nachhaltigen Entwicklung braucht. Im Zuge der Auseinandersetzung mit Kompetenzen für Nachhaltige Entwicklung sind verschiedene Konzepte entstanden, jeweils geprägt durch ihren Entstehungskontext und ihr Bildungs- sowie Nachhaltigkeitsverständnis. Kurze Beschreibungen der Konzepte, ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden sich z. B. in [15: S. 63 ff.] und [16: S.42 ff.].
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Barth beschreibt drei Herangehensweisen an die Auswahl von Kernkompetenzen für NE: erstens durch Lehrende als Expert*innen für BNE, zweitens durch die Frage, welche professionellen Kompetenzen zukünftige Nachhaltigkeits-Transformations-Akteur*innen („sustainability change agents“) brauchen, und drittens durch die Analyse, was Nachhaltigkeitsprobleme charakterisiert und welche Kompetenzen demzufolge für deren Lösung nötig sind [15: S.65 ff.]. Ein entwicklungsbetontes Verständnis von NE mit deutlichem Fokus auf den Globalen Süden, Armutsbekämpfung und Süd-Nord-Beziehungen, z. B. [17], oder ein Verständnis von NE als emanzipatorisches Projekt, welches Kapazitäten für paradigmatische Systemveränderungen und die dafür nötigen Analysen von Machtverhältnissen und Gerechtigkeit priorisiert, z. B. [18] & [19], sind ebenfalls wichtige Perspektiven auf die Frage, was als Kernkompetenzen für NE gelten soll. Jeder dieser Ansätze hat Konsequenzen für die Auswahl der Lernziele und damit die Gestaltung der eigenen Lehre. Und jedes Modell birgt das Risiko, dass die zugrundeliegenden Annahmen der „Modellbauer“ ebenfalls übernommen und andere Perspektiven dadurch unsichtbar gemacht werden. Kompetenzbasierte Lehre ist also ein Kernelement von BNE. Die Qualität der Lehre wird jedoch auch durch den Informationsgrad über Kompetenzmodelle, ihre Entstehungskontexte, Möglichkeiten und Grenzen, sowie durch die Transparenz dieser Entscheidung im Curriculum-Design und den Lernenden gegenüber, beeinflusst.
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Die UNESCO [16] stellt zur Orientierung für Lehrende folgende Kernkompetenzen zusammen, die zurzeit den internationalen BNE-Diskurs widerspiegeln und explizit die Kompetenzen benennen, die a) für NE besonders wichtig sind, und b) bisher nicht im Fokus formaler Bildung stehen:
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'''Kompetenz zum systemischen Denken:''' die Fähigkeit, Beziehungen zu erkennen und verstehen, komplexe Systeme zu analysieren, die Arten, in denen Systeme in verschiedenen Domänen und Maßstäben eingebettet sind, wahrzunehmen, und mit Unsicherheit umgehen zu können.
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'''Kompetenz zur Voraussicht:''' die Fähigkeit, multiple Zukünfte zu verstehen und zu evaluieren – mögliche, wahrscheinliche, und wünschenswerte – und eigene Visionen für die Zukunft zu kreieren; das Vorsorgeprinzip anzuwenden; die Konsequenzen von Handlungen zu bewerten, und mit Risiken und Veränderungen umgehen zu können.
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'''Normative Kompetenz:''' die Fähigkeit, die Normen und Werte, die den eigenen Handlungen zugrunde liegen, zu verstehen und zu reflektieren; nachhaltigkeitsbezogene Werte, Prinzipien, und Ziele verhandeln zu können im Kontext von Interessenkonflikten und notwendigen Kompromissen, von unsicherem Wissen und Widersprüchen.
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'''Strategische Kompetenz:''' die Fähigkeit, gemeinsam innovative Handlungen zu entwickeln und umzusetzen, die Nachhaltigkeit auf lokalen und breiteren Leveln voranbringen.
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'''Kollaborative Kompetenz:''' die Fähigkeit, von anderen zu lernen; die Bedürfnisse, Perspektiven und Handlungen anderer zu verstehen und zu reflektieren (Empathie); andere zu verstehen, in Beziehung zu treten und empfänglich für andere sein (empathische Führung); mit Konflikten in Gruppen umgehen und kollaboratives, partizipatives Problemlösen möglich machen zu können.
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'''Kompetenz zu kritischem Denken:''' die Fähigkeit, Normen, Praktiken und Meinungen zu hinterfragen; die eigenen Werte, Wahrnehmungen und Handlungen zu reflektieren; eine Position im Nachhaltigkeitsdiskurs einnehmen zu können.
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'''Selbstwahrnehmungskompetenz:''' die Fähigkeit, die eigene Rolle in lokalen Gemeinschaften und der globalen Gesellschaft zu reflektieren; das eigene Handeln kontinuierlich abzuschätzen und sich zu motivieren; mit den eigenen Gefühlen und Wünschen umgehen können. Integrierte Problemlösungskompetenz: die übergeordnete Fähigkeit, verschiedene Problemlösungs-Ansätze auf komplexe Nachhaltigkeitsprobleme anzuwenden und tragfähige, inklusive und gerechte Lösungen zu entwickeln, die Nachhaltige Entwicklung fördern. Dabei sollen die o.g. Kompetenzen integriert werden. (Rieckmann, in [16: S.44], Übersetzung Leonie Bellina)
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Aus anderen Kontexten können folgende ergänzende Kompetenzen mit bedacht werden:
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'''Diversitäts-, interkulturelle und Equity-Kompetenz:''' die Fähigkeit, Verschiedenheit von Menschen und Kulturen zu akzeptieren und ihnen mit Offenheit zu begegnen; die eigene soziokulturelle Situiertheit zu verstehen; sozial-ökologische Ungerechtigkeit zu erkennen und einer ungleichen Behandlung (inklusive ökologische Benachteiligung) von Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit vorzubeugen oder dagegen einzuschreiten [18].
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'''Demokratische Kompetenz:''' die Fähigkeit, Demokratie als Wert und Konzepte zu verstehen; Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe zu nutzen und gezielt an Prozessen gesellschaftlicher Transformation mitzuwirken; Institutionen, Interessengruppen, und politische Prozesse der Nachhaltigen Entwicklung zu verstehen und mitzugestalten.
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'''Globale Kompetenz:''' die Fähigkeit, die Erde als Gesamtsystem mit grenzübergreifenden ökologischen und sozialen Wechselwirkungen zu begreifen; die historisch-politisch gewachsenen Ungleichheiten bzgl. nicht-nachhaltiger Entwicklung und ihren Auswirkungen zu verstehen; und beides in eigenes Denken und Handeln einzubeziehen [19].
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'''Affinität für alles Leben:''' die Fähigkeit, sich mit anderen Lebensformen (und Menschen) zu identifizieren, Biodiversität und Evolutionsprozesse des Lebens wertzuschätzen; die eigene Spezies als eine von vielen und abhängig von anderen wahrzunehmen; und der Vielfalt und Komplexität des Lebens auf der Erde mit Demut und Staunen zu begegnen [20].
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HERVORHEBUNG/KASTEN:
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''These 2: Gute H-BNE ist kompetenzorientierte Lehre. Um Studierenden zu ermöglichen, sich an gesellschaftlichen Transformationsprozessen der Nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen, hat sie die sogenannten „key competencies for sustainable development“ als Lernziele: Kompetenzen, die zur Mitgestaltung Nachhaltiger Entwicklung zentral sind, bisher aber nicht explizit Teil akademischer Kompetenzen. Gute H-BNE integriert diese Kompetenzen in Lerninhalte, -formate, und -evaluation. Gute H-BNE macht transparent, welche nachhaltigkeitsbezogenen Kompetenzen erworben werden sollen und warum, was sie konkret ausmacht, und wie sie erworben werden können.''
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====Weiterlesen====
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Bormann, I., de Haan, G. (2008). Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Operationalisierung, Messung, Rahmenbedingungen, Befunde. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Open Source unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-531-90832-8.pdf
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=== Inhalte – BNE braucht eigene Lehrinhalte ===
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Leitfrage: ''Was sind inhaltliche Elemente guter BNE- Elemente, die nicht fehlen dürfen?''
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Dass Nachhaltige Entwicklung Thema sein muss, wo BNE praktiziert wird, ist unmittelbar evident. Was aber unter dem Überbegriff NE oder Nachhaltigkeit konkret zum Thema gemacht wird, ist sehr unterschiedlich und meist stark davon beeinflusst, in welcher Fachdisziplin die Lehrenden selbst verortet sind. Das ist einerseits gut so, denn schließlich finden sich dort die Anschlussstellen zwischen Fach und BNE. Andererseits besteht die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit, welche Themen angesprochen und welche ausgelassen werden. Zudem ist in Deutschland das Thema NE stark mit der Umweltbewegung assoziiert und über Fachbereiche wie Umweltwissenschaften an die Universitäten gekommen, so dass oft ein ökologischer Schwerpunkt überwiegt und eine wirklich integrative Betrachtung durch ökologische, soziale, ökonomische, und kulturelle Perspektiven und deren Interdependenzen wünschenswert bleibt. Gibt es also Lehr-Inhalte in BNE, die als Kernelemente fachübergreifend präsent sein sollten?
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====Nachhaltige Entwicklung als Themenfelder====
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Wo, wie und für wen manifestieren sich Nachhaltigkeitsprobleme, wer trägt den Großteil der Lasten? Welche Herausforderungen sollen bewältigt werden und welche Zielvorstellungen/Lösungsansätze gibt es bereits? Über konkrete Fragen ist Nachhaltige Entwicklung intuitiv am Einfachsten in die Lehre zu integrieren. Dafür bieten sich die Sustainable Development Goals als Zugang an: Sie bilden diejenigen Themenfelder inklusive ihrer ökologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Aspekte ab, in denen NE zurzeit gezielt vorangebracht werden soll. Wenn sie als Gesamtkonzept in ihrem Entstehungskontext vorgestellt werden, geben sie einen guten Überblick, was alles unter NE verstanden wird und wie – durch welche Prozesse, mit welchen Beteiligten – der Konsens über diese Problemanalysen und Zielvorstellungen erreicht wurde. Auch vorhandene Zielkonflikte und Trade-offs zwischen den SDGs sind ein wichtiges Thema. Wenn eine Lehrveranstaltung sich dann auf einen Teilbereich/ein Thema fokussiert, kann dieses im größeren Kontext verstanden werden.
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Was gehört dazu? Wie kann das umgesetzt werden?
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* Überblick: NE als verschiedene, miteinander verknüpfte Themenfelder erkunden
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* Einblick: die interdependenten ökologisch-sozial-ökonomisch-kulturellen Aspekte, die jedes Themenfeld aufweist
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* Hintergrund: die Entstehungsgeschichte dieser Problemanalysen und Zielvorstellungen
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* Einordnen: die eigene Themenwahl – z.B. ein SDG – im größeren Kontext
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* Offenlegen: Ziel-, Ressourcen- und Prioritätenkonflikte zwischen den Themenfeldern/SDGs; mögliche Trade-offs
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* Über den Tellerrand hinaus: Welche und wessen Themen und Zielvorstellungen nachhaltiger Entwicklung sind evtl. nicht in den politisch ausgehandelten SDGs präsent? Warum?
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====Nachhaltige Entwicklung als Diskurs====
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Wie kommt es zu Nachhaltiger Entwicklung als Antwortdiskurs auf die Grand Challenges? Die geschichtlichen Marker wie der Brundtland-Report und die UNESCO-Konferenzen werden meist innerhalb der Nachhaltigkeitslehre thematisiert. Diskurs als philosophischer Begriff ist jedoch mehr: Nach Jürgen Habermas [20] ist Diskurs ein dialogischer Prozess, in dem durch nachvollziehbare Argumente eine Verständigung über umstrittene Wahrheitsansprüche und Normen angestrebt wird. Als „Schauplatz kommunikativer Rationalität“ funktioniert Diskurs dann, wenn er in einem öffentlichen Raum stattfindet, in dem Beiträge und Informationen frei zugänglich sind, sich alle beteiligen können, und bestimmte Regeln eingehalten werden, wie z.B. Gewaltfreiheit. Was in einem solchen Prozess von einer Gemeinschaft als gemeinsame Wahrheit anerkannt wird, gilt als ‚vernünftig‘. Michel Foucault [21] versteht Diskurs weniger als sprachlichen Aushandlungsprozess denn als realitätskonstituierend. Hier bezieht sich „Diskurs“ auf die Formierung von Denksystemen, innerhalb derer wir Wahrheiten als solche wahrnehmen und hinterfragen. Foucault ergänzt den Diskursbegriff um die Analyse von Machtwirkungen. Diese strukturieren nicht nur Diskurs, Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren und damit auch was als Realität und ‚vernünftig‘ wahrgenommen wird, sondern Macht und Interessen werden wiederum durch Diskurspraktiken legitimiert. Diskursanalysen brauchen daher grundsätzlich Machtanalysen.
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Beide Diskursverständnisse machen deutlich, wie sehr Nachhaltige Entwicklung „Diskurs“ ist: ein fortdauernder Prozess des Miteinander-Sprechens über Mensch-Natur-Verhältnisse und die Normen, die diese strukturieren sollen, sowie das Bestreben, dass eine Nachhaltige Entwicklung gesamtgesellschaftlich als ‚vernünftig‘ anerkannt wird. Gleichzeitig ist das, was überhaupt als „Nachhaltige Entwicklung“ denkbar ist, durch die Vorstellungen und Denksysteme unserer Zeit strukturiert sowie durch bestehende Machtverhältnisse und Interessen. Und was/wen legitimiert der Diskurs der Nachhaltigen Entwicklung, z. B. als legitim NE-Wissen produzierende, als legitim Entscheidende über Zielsetzungen von NE? In der Auseinandersetzung mit dem Diskursbegriff und mit NE als Diskurs werden sowohl die ethischen als auch die emanzipatorischen Bildungselemente aktiviert, sowie Wissenschaft als Entstehungsort für diskursrelevantes Wissen. Mehr noch, mit einem solchen Diskursverständnis wird die Diskursgeschichte von NE als Spannungsfeld sichtbar: darin sind Machtverhältnisse, unterschiedliche Möglichkeiten mitzusprechen bzw. gehört zu werden, sowie politische Prozesse und Institutionen alle beteiligt an den sich entwickelnden Bedeutungen von NE [22]. Dieser Ansatz bietet eine deutlich andere Lernmöglichkeit als eine historische Kenntnis der Entwicklung von NE durch die UN-Konferenzen. Eine Auseinandersetzung mit NE als multiple Diskurse, die miteinander um Deutungshoheit ringen – und die Konsequenzen, wenn nicht-dominante Diskurse (wie z. B. Demilitarisierung, Frieden und Dekolonisierungsprozesse) weniger wahrgenommen werden und damit weniger Einfluss auf Problemverständnisse, Priorisierungen und Lösungsideen nehmen können – kann Studierenden ihre Verantwortung als selbst Diskurs-Gestaltende erschließen. Und nicht zuletzt zeigt ein diskursives Verständnis von NE ihre Bedeutung als gesellschaftliches Narrativ auf, sowie die Funktionen von solchen Narrativen und ‚Wahrheiten‘: Diskurs als gesellschaftlich wirksame Praxis. Aus diesem Grund argumentieren wir, dass NE-als-Diskurs genauso zu den Lehrinhalten von Hochschul-BNE gehört wie NE-als-Themenfelder.
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WEITER AUF SEITE 35

Version vom 30. Dezember 2019, 12:11 Uhr

Das UNESCO-Weltaktionsprogramm und der Nationale Aktionsplan für Deutschland streben an, Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) an allen Hochschulen zu implementieren und strukturell zu verankern. Wie kann die Integration von BNE in die verschiedenen akademischen Disziplinen, Studienfächer und Lehrformate gelingen? Gibt es eine gemeinsame Ausgangsbasis, aus der die individuellen Hochschulen „ihre“ BNE entwickeln können? Und was ist das Besondere an BNE in Hochschulen? 25 Jahre nach der ersten formellen Anerkennung der Relevanz von BNE in der Agenda 21 der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro und nach der UN-Dekade BNE von 2005-14 ist die Frage nach Elementen und Qualität von BNE nach wie vor aktuell. Es gibt einen großen Fundus an Erfahrungsberichten, Fallstudien und empirischen Untersuchungen; wenn man jedoch nach (Qualitäts-)Kriterien für BNE sucht, findet man überwiegend Arbeiten, die sich auf Einzelelemente der BNE wie innovative Lehrformate, Interdisziplinarität, Kompetenzorientierung u. a. fokussieren. Das ist verständlich angesichts der Vielzahl und Breite der Elemente, die BNE ausmachen. Um BNE als Gesamtkonzept in verschiedene Orte der Hochschullehre zu integrieren, braucht es allerdings einen Überblick der „Kernelemente“, die Hochschulbildung für Nachhaltige Entwicklung (H-BNE) – unabhängig von Disziplin oder Hochschulform – ausmachen.

Der Orientierungsrahmen, der in diesem Kapitel vorgestellt wird, soll einen solchen Überblick bieten. Er ist als Ordnungsangebot gedacht, das heißt nicht als „Rezept“ mit exakten Vorgaben, sondern als „Menü“. Dazu gehören bestimmte „Gänge“, die aufeinander abgestimmt sind. Was jedoch in jedem Gang an Zutaten ausgewählt wird, ist durchaus regional und saisonal – also je nach Hochschule und Lehrkontext – verschieden. Die Struktur des Orientierungsrahmens hat auch eine qualitätssichernde Funktion: BNE hat erkennbar spezifische Elemente, vor allem Nachhaltige Entwicklung (NE) als thematisch zentralen Lehrinhalt. Andere BNE-Elemente, wie z. B. partizipative Lehrformate, gibt es jedoch auch in anderen Kontexten. Das führt in manchen Fällen dazu, dass das Vorhandensein einzelner in BNE enthaltener Elemente mit BNE gleichgesetzt wird. Wir argumentieren hier, dass BNE als Gesamtkonzept mehr ist als die Summe ihrer Teile, und dass die Kombination aller Kernelemente dieses „Mehr“ entstehen lässt. Die Menüstruktur bietet also eine Systematisierung, die es erleichtern soll, qualitativ hochwertige Hochschul-BNE selbst zusammenzustellen, alle Kernelemente der BNE einzubeziehen und sie gleichwohl den lokalen Gegebenheiten der verschiedenen Universitäten, Studiengängen, und Lehrformaten entsprechend auszugestalten.

Dabei sind die Kernelemente keine beliebige Auflistung: Die Struktur des Orientierungsrahmens richtet sich nach den Schritten im Curriculum-Design und zeigt jeweils auf, wie dort BNE eingebunden werden kann. Dadurch bietet der Orientierungsrahmen intuitive Schnittstellen zu bestehenden Curricula, an denen BNE in die Fachlehre integriert werden kann – oder explizite BNE-Lehre neu konzipiert. An diesen Schnittstellen beschreiben die Kernelemente das, was über Fachlehre und generell „gute Lehre“ hinausgeht und BNE-spezifisch ist. Das Konzept des Orientierungsrahmens wurde in einer HOCHN-Praxis-Forschungs-Session mit rund 40 Expert*innen aus der H-BNE gestaltet. Die Inhalte beruhen auf einer systematischen Literatur-Review der englischsprachigen wissenschaftlichen Literatur zu H-BNE. Daraus wurden 213 Artikel ausgewählt, die bereits Synthesen wichtiger Elemente für Hochschul-BNE und deren mögliche Qualitätskriterien anstreben. Diese wurden durch eine qualitative strukturierende Inhaltsanalyse ausgewertet [1].

EINFÜGEN: Tabelle/Grafik

Die Kernelemente der H-BNE sind auf vier Ebenen angesiedelt:

  • Warum und wofür: die Begründung für die Notwendigkeit von BNE und ein daraus resultierendes Bildungsverständnis sowie die BNE-spezifischen Lernziele bzw. Lernergebnisse: Kompetenzen für Nachhaltige Entwicklung.
  • Was: Um die Lernziele der BNE zu verwirklichen, braucht es konkrete Lernbereiche im Curriculum, die über die Dauer der Lehrveranstaltung hinweg gestaltet werden. Diese Lernbereiche sind weder identisch mit Kompetenzen noch mit didaktischen Prinzipien, sondern sie sind als thematische Bereiche Platzhalter für Inhalte und Aktivitäten der Lehrveranstaltung (oder des Studienprogramms), die mit Hilfe passender didaktischer Prinzipien den Kompetenzerwerb (für NE) ermöglichen sollen.
    • Inhalt: NE-bezogene konkrete Lehrinhalte/Themen
    • Wissenschaft: NE-bezogene wissenschaftliche Arbeit der Studierenden, sowie Auseinandersetzung mit Wissenschaft als Teil von NE
    • Ethik: NE-bezogene ethische Grundlagen, sowie spezifische ethische Aspekte, die mit den gewählten NE-Inhalten und wissenschaftlichen Formaten verbunden sind
    • Partizipation: Möglichkeiten für Studierende in den o.g. Bereichen kollaborativ zu arbeiten und dies mit Unterstützung zu lernen, sowie an der Gestaltung von Lehre & Lernen (demokratisch) mitzuwirken und Verantwortung dafür zu übernehmen
  • Wie (& was): Transformative Didaktik, Methoden und Lehr-Lern-Formate, in denen BNE-Lehre stattfindet: Sie setzen das Bildungskonzept um und schaffen die nötigen Lern-Räume für die Lernziele. Wir beziehen uns hier sowohl auf Didaktik im engeren Sinn, also Ziele und Inhalte vermitteln, als auch auf Methodik, also die konkrete Umsetzung und Organisation der Lernprozesse. (Im Orientierungsrahmen ist dieser Bereich der Lehrplanung der Übersichtlichkeit halber als eigene Zeile dargestellt; Fachdidaktiker*innen können ihn sich auch querliegend zu den anderen Elementen vorstellen.)
  • Wohin: Bedingt durch die spezifischen Lernziele, -bereiche, -methoden und -formate ergeben sich besondere Bedarfe an Evaluation, Weiterbildung und Qualitätssicherung.

Der Orientierungsrahmen kann für die Implementierung von BNE auf verschiedene Arten eingesetzt werden:

  1. Für die inhaltliche Lehrplanung über den Zeitraum der Lehrveranstaltung oder des Studienprogramms.
  2. Für die Strukturierung der Lehre als ganzheitliche Praxis mit Kopf, Hand, und Herz.
  3. Für die inhaltliche Auseinandersetzung mit BNE und ihren Qualitätsmerkmalen. Dafür werden die einzelnen Elemente in diesem Kapitel weiterführend beschrieben.

EINFÜGEN: GRAFIK

Ein Charakteristikum der BNE-Lehre ist, dass sie mehrere inhaltliche „Lernbereiche“ hat: nicht nur Nachhaltige Entwicklung (NE) als Lehrinhalt, sondern auch Wissenschaft (wissenschaftliche Zugänge und Wissensproduktion), nachhaltigkeitsbezogene Ethik sowie Partizipation im Sinne von Zusammenarbeit und demokratischer Teilhabe. Der Orientierungsrahmen kann dabei unterstützen, BNE-Lehre über den Zeitraum der Lehrveranstaltung zu planen:

  1. Die BNE-spezifischen Lernbereiche einbeziehen und Lernziele festlegen: was sollen Studierende am Ende der Lehrveranstaltung in jedem Bereich wissen und können? Was muss demnach in den Lehreinheiten berücksichtigt und thematisiert werden?
  2. Die Lernbereiche durch Aktivitäten sinnvoll miteinander verknüpfen: z.B. ein Projekt, das Studierende zu einem Nachhaltigkeitsthema (Inhalt) gemeinsam gestalten (Partizipation), zu dem sie relevantes Wissen produzieren (Wissenschaft) und in dem ethische Fragen der Nachhaltigen Entwicklung am Thema gelernt sowie in der Forschung einbezogen werden (Ethik). Welche Projektphasen gibt es während der Lehrveranstaltung?
  3. Eine passende Lehr-Lern-Umgebung und Didaktik ausarbeiten: Welche (nachhaltigkeitsbezogenen) Kompetenzen können darin eingesetzt/geübt werden?
  4. Evaluationsformen auswählen: Welche Evaluationsformen in Anbetracht der besonderen Lehrgestaltung passend sind und zu welchen Zeitpunkten, kann so ebenfalls gut eingeschätzt werden.

EINFÜGEN: Grafik

Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist als ganzheitliche Bildung konzipiert: sie spricht Kopf, Herz und Hand (head, hands, and heart) an [2]. Dies wird in der BNE-Literatur in Bezug auf BNE-Curriculum-Design auch als Knowing, Acting, und Being bezeichnet [3], und in Bezug auf BNE-Lernziele als cognitive learning objectives (kognitive Lernziele), behavioural learning objectives (Handlungs/Verhaltensbezogene Lernziele) und socio-emotional learning objectives (reflektive, sozial-emotionale Lernziele) [4]. Es handelt sich dabei um drei Dimensionen des Lernens, die zum Kompetenzerwerb nötig sind. Studierende können so die Kompetenzen für Nachhaltige Entwicklung in einer Lehre erproben, die BNE-spezifische Lernbereiche durch die Dimensionen ganzheitlichen, kompetenzorientierten Lernens erfahrbar macht:

  • Knowing: Der gezielte Einsatz mehrerer Lernbereiche in BNE bedeutet, dass diese jeweils Wissen/Inputs benötigen. Hier geht es jedoch auch um den Einsatz verschiedener Wissensformen und Zugänge zum Wissenserwerb, wie z. B. Interdisziplinarität. Da sich Nachhaltigkeitsthemen ständig entwickeln, geht es über im aktuellen Curriculum notwendiges Wissen hinaus besonders darum, sich neues Wissen durch passende Zugänge erschließen, kritisch bewerten und sinnvoll einsetzen zu lernen.
  • Acting: Handlungskompetenzen brauchen die Orientierung auf das praktische Umsetzen: hier werden die Lernbereiche in konkreten Kontexten angewandt, um Fähigkeiten zur Realisierung von z.B. NE-Forschungsprojekten zu lernen. Darüber hinaus geht es um professionelle Kompetenzen: neue Berufsbilder und Arbeitsformen (gerade im Bereich NE) entstehen. Statt nur für einen bestimmten Beruf ausgebildet zu werden, brauchen Studierende die Fähigkeit, sich neue Arbeitsaufgaben und -Umgebungen zu erschließen.
  • Being: Ein besonderer Schwerpunkt der BNE liegt auf persönlichem Lernen im sozialen Kontext: die eigenen Werte und die Weltanschauung, die Rolle (in Communities oder als Wissenschaftler*in/ Fachkraft), das eigene Handeln und dessen Konsequenzen bzgl. Nachhaltiger Entwicklung reflektieren; Empathie entwickeln; mit eigenen Emotionen, Motivation, Unsicherheiten und Zweifeln umgehen. Dieses Lernen braucht explizite Räume der strukturierten Reflektion und des respektvollen Austausches, und auch Anleitung, wie beides funktioniert. In gut strukturierter H-BNE können diese sowohl kognitiv-handlungsbezogenen als auch sozial-emotionalen und Selbst-Kompetenzen in Bezug auf alle Lernbereiche geübt werden. „Being“ bedeutet auch: Freiräume für persönliche Entwicklung!

Im Folgenden werden die Kernelemente beschrieben und Möglichkeiten der Umsetzung aufgezeigt. Bei der Implementierung in konkreten Lehrkontexten und Curricula wird die Ausprägung der Elemente selbstverständlich an diese sowie an die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lernenden und die Möglichkeiten und Ressourcen der Lehrenden angepasst. Am Ende jedes Abschnitts findet sich eine These zu „guter“ Hochschul-BNE, die zur eigenen Auseinandersetzung mit Qualitätsmerkmalen anregen möchte.


Begründung – Notwendigkeit und Herausforderung von BNE

Leitfrage: Wie begründe ich als Lehrende*r/Programmverantwortliche*r den Einsatz dieses Bildungskonzepts?

Bildung für Nachhaltige Entwicklung als Bildungskonzept hat sich in einem spezifischen historisch-politisch-kulturellen Rahmen entwickelt, geleitet von der Erkenntnis, dass die Übernutzung natürlicher Ressourcen durch Teile der Menschheit das Überleben der gesamten Menschheit und der nicht-menschlichen Natur zu gefährden beginnt [5], [6]. Außerdem ist diese global wirksame Nicht-Nachhaltige Entwicklung und ihre Geschichte eine der Hauptursachen für globale Ungleichheit, Ungerechtigkeit, und viele Formen der Armut. Darin wird die Notwendigkeit von Nachhaltiger Entwicklung begründet, und damit auch BNE als wichtiger leverage point („Hebel-Ansatzpunkt“) für die gesellschaftliche Transformation hin zu Nachhaltiger Entwicklung. BNE hat hier drei tiefe Wurzeln, an denen Hochschulbildung ganz besonders gut anknüpft:

1. Wissenschaft: Die oben genannte Einsicht beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, z.B. die Endlichkeit von Ressourcen, Veränderungen in Biosphäre und ökologischen Systemen durch menschliche Einflüsse, bestehende und zu- künftig mögliche Auswirkungen auf soziale Systeme. Wissenschaftliche Daten zeigen Problematiken auf wie z. B. anthropogenen Klimawandel, Hunger, u. a. – die sogenannten Grand Challenges. Der Diskurs von NE, und damit auch BNE, beruht also auch auf einem Ver- ständnis von Wissenschaftlichkeit: Dass es zum einen möglich ist, nachvollziehbare Daten zu erheben, Fakten zu dokumentieren und Aus- sagen zu treffen und zum anderen, dass Auseinandersetzungen um diese Aussagen auf Kriterien der Wissenschaftlichkeit beruhen sollten, nicht auf ‚gefühlten Wahrheiten‘ des Populismus oder Algorithmen sozialer Medien. Die Versuche der Wissenschaften, Lösungen für die Grand Challenges zu finden, verändern wiederum Wissenschaft: komplexe, systemische Herausforderungen erfordern Interdisziplinarität, forschend-lernende Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteur*innen (Transdisziplinarität), sowie das Einbeziehen anderer Wissensformen (z.B. indigenes Wissen); neue wissenschaftliche Methoden werden entwickelt. Die markanteste Besonderheit von Hochschul-BNE, die sie von anderen Bildungskontexten unterscheidet, ist die wissenschaftliche Bildung. Durch sie werden Studierende befähigt, sich nicht nur fundiert mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzen und Informationen und Debatten auf ihre Validität zu prüfen, sondern auch dazu, selbst neues Wissen zu generieren. BNE betont die Untrennbarkeit von Wissenschaft und Gesellschaft und ermöglicht Studierenden insbesondere:

    • Fragen zur Rolle und Verantwortung der Wissenschaften allgemein sowie speziell des eigenen Fachs in Bezug auf (nicht-)Nachhaltige Entwicklung zu stellen
    • Durch forschendes Lernen an wissenschaftlichen Beiträgen und Innovationen für nachhaltiger Entwicklung mitzuarbeiten
    • Teilzuhaben an der Weiterentwicklung von Wissenschaft, neuen Methoden der Wissensproduktion und -kommunikation, die den Herausforderungen unserer Zeit angemessen sind

2. Normative Orientierung (Ethik): (B)NE beruht zentral auf normativen Setzungen: Menschliches Leben auf der Erde ist erhaltens- und fördernswert, deshalb müssen für unser Überleben gefährliche ökologische Veränderungen begrenzt werden. Dabei ist eine ungleiche Verteilung von ökologischen und ökonomischen Lasten und Nutzen zwischen sozialen/nationalen Gruppen ungerecht, daher sollen die Bedürfnisse der Ärmsten Priorität haben [7]. Hinzu kommt, dass auch nicht-menschliche Lebensformen einen Wert haben und menschliches Verhalten auch für diese Sorge tragen sollte. Diese normativen Setzungen sind gut begründet, z.B. im Diskurs der Menschenrechte, und werden auch gegenwärtig weiterentwickelt, z. B. in Diskursen der Dekolonialität, der Gerechtigkeitstheorien, der Tierethik und Umweltethik (Biologische Vielfalt). Die ethische Frage „was sollen wir tun“, aber auch „was sollen wir können“ wird im Diskurs der Nachhaltigen Entwicklung also innerhalb bestimmter normativer Rahmungen ausgehandelt, interpretiert, und immer wieder neu beantwortet. Entsprechend dieser ethischen Grundlagen und Zielsetzungen sollen gegenwärtige Produktions-, Wirtschafts- und Lebensweisen so verändert werden, dass ein gutes Leben für alle Heutigen und Künftigen innerhalb ökologisch sicherer und sozial gerechter Grenzen möglich wird: „A social foundation no one should fall below and an ecological ceiling of planetary pressure that we should not go beyond. Between the two lies a safe and just space for all.” [8:S.9]. Dies stellt wiederum Fragen an die Hochschule: Wie soll Forschung und Lehre in (dieser) gesellschaftlichen Verantwortung gestaltet werden? Ein Studium soll zur Übernahme von Verantwortung in der Gesellschaft befähigen – circa 80 Prozent der entscheidungstragenden Positionen sind mit Absolvent*innen aus Hochschulen besetzt [9], Karrieren in der Wissenschaft zu 100 Prozent. Verantwortung bezieht sich immer auf konkrete Werte und Normen. Entscheidungen wiederum beziehen sich auf das, was im Kontext dieser Werte und Normen als erstrebenswert bewertet wird. Das bedeutet, dass zur Hochschulbildung notwendigerweise auch eine ethische Bildung gehört, um gesellschaftliche und fachspezifische Werte und Normen erkennen, hinterfragen, und eigenständig bewerten zu können. BNE zeigt diese Notwendigkeit auf und ermöglicht Studierenden insbesondere:

    • ethische, insbesondere Gerechtigkeitsfragen der Herausforderungen der Gegenwart fachübergreifend zu erkunden, sowie bestehende gesellschaftliche Werte, Normen, und Praktiken fundiert daraufhin zu befragen
    • Fragen der Wissenschaftsethik in ihrem Fach um Fragen der anwendungsbezogenen Ethik und der möglichen Wirkungen fachlicher Forschung im Kontext Nachhaltiger Entwicklung zu erweitern
    • eigene Wertvorstellungen im gesellschaftlichen und globalen Kontext zu verstehen und zu hinterfragen und für sich selbst die Frage, was wir angesichts der Herausforderungen der Gegenwart „wollen und können sollen“, bewusst zu beantworten

3. Emanzipatorischer Bildungsauftrag: Bildung für Nachhaltige Entwicklung soll Menschen befähigen, die gesellschaftliche Transformation vor dem Hintergrund der „Grand Challenges“ zu gestalten. Da Nachhaltige Entwicklung ein gesellschaftlich anerkanntes Ziel ist, ebenso wie Demokratie, ist dies schlüssig, birgt jedoch ein Spannungsfeld: Wenn Nachhaltigkeit bereits als normatives Ziel vorausgesetzt wird, und Bildung „dafür“ befähigen soll, dann scheint sie in Spannung zu stehen mit dem ersten Grundsatz des Beutelsbacher Konsens: Überwältigungs- bzw. Indoktrinationsverbot („Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination.“ [10]). Der Bildungsauftrag in säkularen, freiheitlich-demokratischen Staaten ist ein emanzipatorischer: Studierende sollen selbst kritisch denken, Informationen bewerten, begründet argumentieren, Konsequenzen bedenken, bewusst entscheiden und verantwortlich handeln lernen. BNE muss also Studierende befähigen, in Bezug auf die sozial-ökologischen Probleme der Gegenwart genau all das zu tun und Nachhaltige Entwicklung nicht als „die Antwort“, sondern als einen in demokratischen Prozessen entstandenen Antwortdiskurs auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu begreifen, den sie mitgestalten können. BNE ist also keinesfalls ein „Erziehen“ zu einem bestimmten Verhalten, sondern eine Befähigung und Kompetenzentwicklung zur eigenständigen Beteiligung an unbestreitbar wichtigen gesellschaftlichen Prozessen. Darüber hinaus stellen Fragen der Nachhaltigen Entwicklung gesellschaftliche bzw. Mensch-Natur-Verhältnisse grundsätzlich in Frage und öffnen Raum für die Entwicklung alternativer Gesellschaftsentwürfe. BNE bringt hier politische und emanzipatorische Bildung als notwendige Bestandteile der Hochschulbildung wieder deutlich in den Vordergrund und ermöglicht Studierenden insbesondere:

    • gesellschaftliche Grundannahmen und Paradigmen (sowie die des eigenen Studienfachs) zu erkennen, zu analysieren, grundsätzlich in Frage zu stellen und neue Konzepte zu entwickeln
    • (Nicht-) Nachhaltige Entwicklung (sowie die Rolle des eigenen Studienfachs darin) im Kontext historisch-politisch-kultureller Entwicklungen und Machtverhältnisse zu analysieren und verstehen

Informierte, demokratische Beteiligung an gesellschaftlicher Veränderung zu lernen und zu erproben

In der Gegenwart ist es nicht mehr sinnvoll möglich, sich zu Fragen Nachhaltiger Entwicklung nicht zu verhalten. Die Frage ist, wie informiert, bewusst, und (pro)aktiv das eigene Verhalten sein wird. BNE schließt hier an den Bildungsauftrag der Hochschulen an und setzt diesen aktiv in Bezug zu den unstrittig drängenden, global relevanten sozial-ökologischen Herausforderungen. Dadurch verändert BNE Wissenschaft und Bildung in ihrem Selbstverständnis und ihrer Praxis; BNE entfaltet innovative Kraft. Durch die Kombination aus wissenschaftlicher, ethischer, und emanzipatorischer Bildung im Kontext der „Grand Challenges“ befähigt sie Studierende, diese eigenständig zu begreifen, zu bewerten, und selbst aktiv zu werden. So lässt sich auch die der BNE inhärente Spannung zwischen Normativität und Neutralität konstruktiv nutzen: Studierende können sich den Diskurs Nachhaltiger Entwicklung im Rahmen einer durch wissenschaftliche und ethische Methoden – auch und grade von ihnen selbst – „gut begründeten Normativität“ zu eigen machen und mitgestalten.

HERVORHEBEN/KASTEN:

Gute BNE ist normativ, aber nicht bevormundend. Sie orientiert, ohne Bildung (oder Studierende) zu instrumentalisieren. Dafür lehrt BNE Ethik und Wissenschaftlichkeit als Wege des Erkundens, Bewertens und Argumentierens von Fragen der Nachhaltigen Entwicklung. BNE als emanzipatorisches Bildungskonzept eröffnet gezielt Räume für kritisches Denken und Handeln und stellt Empowerment der Studierenden in den Mittelpunkt.


Weiterlesen

Eine Vielzahl an Publikationen führt in BNE als Bildungskonzept und deren Besonderheiten ein und begründet ihre Notwendigkeit als querschnittsorientierter Ansatz in allen Bildungsformen. Zentrale Publikationen sind frei zugänglich unter: https://en.unesco.org/themes/education-sustainable-development


Zur Vertiefung:

Barth, Matthias (2014): Implementing Sustainability in Higher Education. Routledge, London.

Rieckmann, Marco (2016): Bildung für nachhaltige Entwicklung – Konzeptionelle Grundlagen und Stand der Implementierung. In: Martin K.W. Schweer (Hg.): Bildung für nachhaltige Entwicklung in pädagogischen Handlungsfeldern. Grundlagen, Verankerung und Methodik in ausgewählten Lehr-Lern-Kontexten. Peter Lang, Frankfurt am Main, S. 11–32.

Rieckmann, Marco; Schank, Christoph (2016): Sozioökonomisch fundierte Bildung für nachhaltige Entwicklung – Kompetenzentwicklung und Werteorientierungen zwischen individueller Verantwortung und struktureller Transformation. In: SOCIENCE 1 (1), S. 65–79. Online verfügbar unter www.rce-vienna.at/SOCIENCE/vol1.pdf


Emanzipatorische Bildung und BNE:

Arjen E.J. Wals (2010) Between knowing what is right and knowing that is it wrong to tell others what is right: on relativism, uncertainty and democracy in environmental and sustainability education, Environmental Education Research, 16:1, 143-151, DOI: 10.1080/13504620903504099

Lotz-Sisitka et.al. (2015): Transformative, transgressive social learning: rethinking higher education pedagogy in times of systemic global dysfunction. Current Opinion in Environmental Sustainability, Vol. 16, October 2015, Pages 73-80 https://doi.org/10.1016/j.cosust.2015.07.018


Ziele – Nachhaltige Entwicklung braucht Kompetenzen

Leitfrage: Welche grundlegenden Lern-Ziele hat BNE?

Der Grund für BNE – die ethisch und wissenschaftlich begründete Notwendigkeit, die Grand Challenges zu bewältigen und Gesellschaft(en) entsprechend zu verändern – in Kombination mit einem emanzipatorischen Bildungsauftrag, ergibt bestimmte Ziele guter Hochschul-BNE (H-BNE). Diese können in drei Oberkategorien dargestellt werden:

EINFÜGEN: GRAFIK

Verstehen: Wie können die großen Herausforderungen der Gegenwart erkannt und verstanden werden? Ziel der H-BNE ist über ein Wissen um diese Themen (Problemverständnis) hinaus die Befähigung Studierender, ein eigenes Verständnis entwickeln und zu neuen Erkenntnissen beitragen zu können. Die komplexe, systemische Natur der Grand Challenges verlangt hier nach neuen Methoden und Wissenszugängen. Außerdem sind Nachhaltigkeitsprobleme nur im Zusammenhang mit Bewertung zu verstehen: erst Werte wie z. B. Menschenrechte und ökologische Integrität lassen Armut und Verlust der Artenvielfalt als Probleme hervortreten; andere Wertesysteme mögen sie als akzeptable Begleiterscheinung von „Fortschritt“ verbuchen. Verschiedene Werte zu erkennen und ihre Konsequenzen gegeneinander abwägen zu können – Bewertungskompetenz – ist integraler Teil des Verstehens in BNE.

Verändern: Wie reagiert die Weltgesellschaft in ihrer Pluralität auf die Grand Challenges und wie lassen sie sich bewältigen? Ziel der H-BNE ist eine Befähigung Studierender, eigene Beiträge zur Lösung dieser Herausforderungen entwickeln zu können. Dazu gehört insbesondere auch, kritisch, kreativ und visionär denken zu lernen, um Paradigmen hinterfragen und völlig neue Ideen und Lösungswege entwickeln zu können. Hier öffnen Konzepte des Neudenkens von Gesellschaft, Arbeit, Ökonomie, und Mensch-Naturverhältnissen Denk-Räume für H-BNE: z. B. Care [11], Degrowth [12], Buen Vivir [13], Environmental Justice [14], u.v.m.

Handeln: Wie können sich Gesellschaften und ihre kulturellen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Praktiken verändern? Wie funktioniert Beteiligung an solchen Veränderungsprozessen? Ziel der H-BNE ist eine Befähigung Studierender, „change agent“ sein zu können, sich motiviert und kompetent in demokratischen Beteiligungsprozessen einzubringen, sowie neue Handlungsmöglichkeiten und Beteiligungsprozesse entwickeln, initiieren und begleiten zu können.

An diesen Zielen wird deutlich, dass Hochschul-BNE ein umfangreiches und anspruchsvolles Unterfangen ist – aber genau das macht auch ihren Reiz aus! Studierende bringen meist bereits den Wunsch und die Bereitschaft mit, an aktuellen Herausforderungen mitzuarbeiten und sind sehr engagiert, wenn sie diese Möglichkeit in ihrem Studium bekommen – und das macht es leicht, sich für Lehre ebenfalls neu zu begeistern.

ZWEI BEISPIELE:

Eberhard Karls Universität Tübingen Week of Links – Projekttag für Nachhaltige Entwicklung http://weekoflinks.org/

Leuphana Universität Lüneburg Zukunftsstadt Lüneburg 2030+, www.lueneburg2030.de/das-projekt/


Kernkompetenzen für Nachhaltige Entwicklung

Leitfrage: Welche nachhaltigkeitsspezifischen Kompetenzen gehören zu den Lernzielen von BNE?

An den übergeordneten Lernzielen wird deutlich, dass es sich bei BNE um eine kompetenzorientierte und -basierte Lehre handelt. Da sich die Nachhaltigkeitsproblematiken, Zielvorstellungen und Lösungsansätze ständig wandeln, reicht weder bestehendes Wissen noch ein instrumenteller Problemlösungsansatz aus, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Stattdessen bedarf es Kompetenzen, um mit unterschiedlichen, neuen und komplexen Anforderungen erfolgreich umgehen zu können. BNE schließt hier an einen Trend in der Hochschulbildung an, die rein Input-orientierte (wissensbasierte) zugunsten einer Output-orientierten (kompetenzbasierten) Bildung zu verändern. Daraus ergibt sich die Frage, welche speziellen Kompetenzen die Mitgestaltung einer Nachhaltigen Entwicklung braucht. Im Zuge der Auseinandersetzung mit Kompetenzen für Nachhaltige Entwicklung sind verschiedene Konzepte entstanden, jeweils geprägt durch ihren Entstehungskontext und ihr Bildungs- sowie Nachhaltigkeitsverständnis. Kurze Beschreibungen der Konzepte, ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden sich z. B. in [15: S. 63 ff.] und [16: S.42 ff.].

Barth beschreibt drei Herangehensweisen an die Auswahl von Kernkompetenzen für NE: erstens durch Lehrende als Expert*innen für BNE, zweitens durch die Frage, welche professionellen Kompetenzen zukünftige Nachhaltigkeits-Transformations-Akteur*innen („sustainability change agents“) brauchen, und drittens durch die Analyse, was Nachhaltigkeitsprobleme charakterisiert und welche Kompetenzen demzufolge für deren Lösung nötig sind [15: S.65 ff.]. Ein entwicklungsbetontes Verständnis von NE mit deutlichem Fokus auf den Globalen Süden, Armutsbekämpfung und Süd-Nord-Beziehungen, z. B. [17], oder ein Verständnis von NE als emanzipatorisches Projekt, welches Kapazitäten für paradigmatische Systemveränderungen und die dafür nötigen Analysen von Machtverhältnissen und Gerechtigkeit priorisiert, z. B. [18] & [19], sind ebenfalls wichtige Perspektiven auf die Frage, was als Kernkompetenzen für NE gelten soll. Jeder dieser Ansätze hat Konsequenzen für die Auswahl der Lernziele und damit die Gestaltung der eigenen Lehre. Und jedes Modell birgt das Risiko, dass die zugrundeliegenden Annahmen der „Modellbauer“ ebenfalls übernommen und andere Perspektiven dadurch unsichtbar gemacht werden. Kompetenzbasierte Lehre ist also ein Kernelement von BNE. Die Qualität der Lehre wird jedoch auch durch den Informationsgrad über Kompetenzmodelle, ihre Entstehungskontexte, Möglichkeiten und Grenzen, sowie durch die Transparenz dieser Entscheidung im Curriculum-Design und den Lernenden gegenüber, beeinflusst.

Die UNESCO [16] stellt zur Orientierung für Lehrende folgende Kernkompetenzen zusammen, die zurzeit den internationalen BNE-Diskurs widerspiegeln und explizit die Kompetenzen benennen, die a) für NE besonders wichtig sind, und b) bisher nicht im Fokus formaler Bildung stehen:

Kompetenz zum systemischen Denken: die Fähigkeit, Beziehungen zu erkennen und verstehen, komplexe Systeme zu analysieren, die Arten, in denen Systeme in verschiedenen Domänen und Maßstäben eingebettet sind, wahrzunehmen, und mit Unsicherheit umgehen zu können.

Kompetenz zur Voraussicht: die Fähigkeit, multiple Zukünfte zu verstehen und zu evaluieren – mögliche, wahrscheinliche, und wünschenswerte – und eigene Visionen für die Zukunft zu kreieren; das Vorsorgeprinzip anzuwenden; die Konsequenzen von Handlungen zu bewerten, und mit Risiken und Veränderungen umgehen zu können.

Normative Kompetenz: die Fähigkeit, die Normen und Werte, die den eigenen Handlungen zugrunde liegen, zu verstehen und zu reflektieren; nachhaltigkeitsbezogene Werte, Prinzipien, und Ziele verhandeln zu können im Kontext von Interessenkonflikten und notwendigen Kompromissen, von unsicherem Wissen und Widersprüchen.

Strategische Kompetenz: die Fähigkeit, gemeinsam innovative Handlungen zu entwickeln und umzusetzen, die Nachhaltigkeit auf lokalen und breiteren Leveln voranbringen.

Kollaborative Kompetenz: die Fähigkeit, von anderen zu lernen; die Bedürfnisse, Perspektiven und Handlungen anderer zu verstehen und zu reflektieren (Empathie); andere zu verstehen, in Beziehung zu treten und empfänglich für andere sein (empathische Führung); mit Konflikten in Gruppen umgehen und kollaboratives, partizipatives Problemlösen möglich machen zu können.

Kompetenz zu kritischem Denken: die Fähigkeit, Normen, Praktiken und Meinungen zu hinterfragen; die eigenen Werte, Wahrnehmungen und Handlungen zu reflektieren; eine Position im Nachhaltigkeitsdiskurs einnehmen zu können.

Selbstwahrnehmungskompetenz: die Fähigkeit, die eigene Rolle in lokalen Gemeinschaften und der globalen Gesellschaft zu reflektieren; das eigene Handeln kontinuierlich abzuschätzen und sich zu motivieren; mit den eigenen Gefühlen und Wünschen umgehen können. Integrierte Problemlösungskompetenz: die übergeordnete Fähigkeit, verschiedene Problemlösungs-Ansätze auf komplexe Nachhaltigkeitsprobleme anzuwenden und tragfähige, inklusive und gerechte Lösungen zu entwickeln, die Nachhaltige Entwicklung fördern. Dabei sollen die o.g. Kompetenzen integriert werden. (Rieckmann, in [16: S.44], Übersetzung Leonie Bellina)


Aus anderen Kontexten können folgende ergänzende Kompetenzen mit bedacht werden:

Diversitäts-, interkulturelle und Equity-Kompetenz: die Fähigkeit, Verschiedenheit von Menschen und Kulturen zu akzeptieren und ihnen mit Offenheit zu begegnen; die eigene soziokulturelle Situiertheit zu verstehen; sozial-ökologische Ungerechtigkeit zu erkennen und einer ungleichen Behandlung (inklusive ökologische Benachteiligung) von Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit vorzubeugen oder dagegen einzuschreiten [18].

Demokratische Kompetenz: die Fähigkeit, Demokratie als Wert und Konzepte zu verstehen; Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe zu nutzen und gezielt an Prozessen gesellschaftlicher Transformation mitzuwirken; Institutionen, Interessengruppen, und politische Prozesse der Nachhaltigen Entwicklung zu verstehen und mitzugestalten.

Globale Kompetenz: die Fähigkeit, die Erde als Gesamtsystem mit grenzübergreifenden ökologischen und sozialen Wechselwirkungen zu begreifen; die historisch-politisch gewachsenen Ungleichheiten bzgl. nicht-nachhaltiger Entwicklung und ihren Auswirkungen zu verstehen; und beides in eigenes Denken und Handeln einzubeziehen [19].

Affinität für alles Leben: die Fähigkeit, sich mit anderen Lebensformen (und Menschen) zu identifizieren, Biodiversität und Evolutionsprozesse des Lebens wertzuschätzen; die eigene Spezies als eine von vielen und abhängig von anderen wahrzunehmen; und der Vielfalt und Komplexität des Lebens auf der Erde mit Demut und Staunen zu begegnen [20].

HERVORHEBUNG/KASTEN:

These 2: Gute H-BNE ist kompetenzorientierte Lehre. Um Studierenden zu ermöglichen, sich an gesellschaftlichen Transformationsprozessen der Nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen, hat sie die sogenannten „key competencies for sustainable development“ als Lernziele: Kompetenzen, die zur Mitgestaltung Nachhaltiger Entwicklung zentral sind, bisher aber nicht explizit Teil akademischer Kompetenzen. Gute H-BNE integriert diese Kompetenzen in Lerninhalte, -formate, und -evaluation. Gute H-BNE macht transparent, welche nachhaltigkeitsbezogenen Kompetenzen erworben werden sollen und warum, was sie konkret ausmacht, und wie sie erworben werden können.


Weiterlesen

Bormann, I., de Haan, G. (2008). Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Operationalisierung, Messung, Rahmenbedingungen, Befunde. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Open Source unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-531-90832-8.pdf


Inhalte – BNE braucht eigene Lehrinhalte

Leitfrage: Was sind inhaltliche Elemente guter BNE- Elemente, die nicht fehlen dürfen?

Dass Nachhaltige Entwicklung Thema sein muss, wo BNE praktiziert wird, ist unmittelbar evident. Was aber unter dem Überbegriff NE oder Nachhaltigkeit konkret zum Thema gemacht wird, ist sehr unterschiedlich und meist stark davon beeinflusst, in welcher Fachdisziplin die Lehrenden selbst verortet sind. Das ist einerseits gut so, denn schließlich finden sich dort die Anschlussstellen zwischen Fach und BNE. Andererseits besteht die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit, welche Themen angesprochen und welche ausgelassen werden. Zudem ist in Deutschland das Thema NE stark mit der Umweltbewegung assoziiert und über Fachbereiche wie Umweltwissenschaften an die Universitäten gekommen, so dass oft ein ökologischer Schwerpunkt überwiegt und eine wirklich integrative Betrachtung durch ökologische, soziale, ökonomische, und kulturelle Perspektiven und deren Interdependenzen wünschenswert bleibt. Gibt es also Lehr-Inhalte in BNE, die als Kernelemente fachübergreifend präsent sein sollten?

Nachhaltige Entwicklung als Themenfelder

Wo, wie und für wen manifestieren sich Nachhaltigkeitsprobleme, wer trägt den Großteil der Lasten? Welche Herausforderungen sollen bewältigt werden und welche Zielvorstellungen/Lösungsansätze gibt es bereits? Über konkrete Fragen ist Nachhaltige Entwicklung intuitiv am Einfachsten in die Lehre zu integrieren. Dafür bieten sich die Sustainable Development Goals als Zugang an: Sie bilden diejenigen Themenfelder inklusive ihrer ökologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Aspekte ab, in denen NE zurzeit gezielt vorangebracht werden soll. Wenn sie als Gesamtkonzept in ihrem Entstehungskontext vorgestellt werden, geben sie einen guten Überblick, was alles unter NE verstanden wird und wie – durch welche Prozesse, mit welchen Beteiligten – der Konsens über diese Problemanalysen und Zielvorstellungen erreicht wurde. Auch vorhandene Zielkonflikte und Trade-offs zwischen den SDGs sind ein wichtiges Thema. Wenn eine Lehrveranstaltung sich dann auf einen Teilbereich/ein Thema fokussiert, kann dieses im größeren Kontext verstanden werden. Was gehört dazu? Wie kann das umgesetzt werden?

  • Überblick: NE als verschiedene, miteinander verknüpfte Themenfelder erkunden
  • Einblick: die interdependenten ökologisch-sozial-ökonomisch-kulturellen Aspekte, die jedes Themenfeld aufweist
  • Hintergrund: die Entstehungsgeschichte dieser Problemanalysen und Zielvorstellungen
  • Einordnen: die eigene Themenwahl – z.B. ein SDG – im größeren Kontext
  • Offenlegen: Ziel-, Ressourcen- und Prioritätenkonflikte zwischen den Themenfeldern/SDGs; mögliche Trade-offs
  • Über den Tellerrand hinaus: Welche und wessen Themen und Zielvorstellungen nachhaltiger Entwicklung sind evtl. nicht in den politisch ausgehandelten SDGs präsent? Warum?


Nachhaltige Entwicklung als Diskurs

Wie kommt es zu Nachhaltiger Entwicklung als Antwortdiskurs auf die Grand Challenges? Die geschichtlichen Marker wie der Brundtland-Report und die UNESCO-Konferenzen werden meist innerhalb der Nachhaltigkeitslehre thematisiert. Diskurs als philosophischer Begriff ist jedoch mehr: Nach Jürgen Habermas [20] ist Diskurs ein dialogischer Prozess, in dem durch nachvollziehbare Argumente eine Verständigung über umstrittene Wahrheitsansprüche und Normen angestrebt wird. Als „Schauplatz kommunikativer Rationalität“ funktioniert Diskurs dann, wenn er in einem öffentlichen Raum stattfindet, in dem Beiträge und Informationen frei zugänglich sind, sich alle beteiligen können, und bestimmte Regeln eingehalten werden, wie z.B. Gewaltfreiheit. Was in einem solchen Prozess von einer Gemeinschaft als gemeinsame Wahrheit anerkannt wird, gilt als ‚vernünftig‘. Michel Foucault [21] versteht Diskurs weniger als sprachlichen Aushandlungsprozess denn als realitätskonstituierend. Hier bezieht sich „Diskurs“ auf die Formierung von Denksystemen, innerhalb derer wir Wahrheiten als solche wahrnehmen und hinterfragen. Foucault ergänzt den Diskursbegriff um die Analyse von Machtwirkungen. Diese strukturieren nicht nur Diskurs, Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren und damit auch was als Realität und ‚vernünftig‘ wahrgenommen wird, sondern Macht und Interessen werden wiederum durch Diskurspraktiken legitimiert. Diskursanalysen brauchen daher grundsätzlich Machtanalysen. Beide Diskursverständnisse machen deutlich, wie sehr Nachhaltige Entwicklung „Diskurs“ ist: ein fortdauernder Prozess des Miteinander-Sprechens über Mensch-Natur-Verhältnisse und die Normen, die diese strukturieren sollen, sowie das Bestreben, dass eine Nachhaltige Entwicklung gesamtgesellschaftlich als ‚vernünftig‘ anerkannt wird. Gleichzeitig ist das, was überhaupt als „Nachhaltige Entwicklung“ denkbar ist, durch die Vorstellungen und Denksysteme unserer Zeit strukturiert sowie durch bestehende Machtverhältnisse und Interessen. Und was/wen legitimiert der Diskurs der Nachhaltigen Entwicklung, z. B. als legitim NE-Wissen produzierende, als legitim Entscheidende über Zielsetzungen von NE? In der Auseinandersetzung mit dem Diskursbegriff und mit NE als Diskurs werden sowohl die ethischen als auch die emanzipatorischen Bildungselemente aktiviert, sowie Wissenschaft als Entstehungsort für diskursrelevantes Wissen. Mehr noch, mit einem solchen Diskursverständnis wird die Diskursgeschichte von NE als Spannungsfeld sichtbar: darin sind Machtverhältnisse, unterschiedliche Möglichkeiten mitzusprechen bzw. gehört zu werden, sowie politische Prozesse und Institutionen alle beteiligt an den sich entwickelnden Bedeutungen von NE [22]. Dieser Ansatz bietet eine deutlich andere Lernmöglichkeit als eine historische Kenntnis der Entwicklung von NE durch die UN-Konferenzen. Eine Auseinandersetzung mit NE als multiple Diskurse, die miteinander um Deutungshoheit ringen – und die Konsequenzen, wenn nicht-dominante Diskurse (wie z. B. Demilitarisierung, Frieden und Dekolonisierungsprozesse) weniger wahrgenommen werden und damit weniger Einfluss auf Problemverständnisse, Priorisierungen und Lösungsideen nehmen können – kann Studierenden ihre Verantwortung als selbst Diskurs-Gestaltende erschließen. Und nicht zuletzt zeigt ein diskursives Verständnis von NE ihre Bedeutung als gesellschaftliches Narrativ auf, sowie die Funktionen von solchen Narrativen und ‚Wahrheiten‘: Diskurs als gesellschaftlich wirksame Praxis. Aus diesem Grund argumentieren wir, dass NE-als-Diskurs genauso zu den Lehrinhalten von Hochschul-BNE gehört wie NE-als-Themenfelder.

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